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Theatersplitter

■ Berliner Bühnen am Wochenende

Unglaublich viel Energie muß die aus der HdK-Szene stammende Gruppe um Bertram Hacke und Niclas Ramdohr für die Erstellung ihres Musicals »Dschungel Dschuppies« aufgewandt haben, was sie da im Fliegenden Theater vorführen, ist Abendunterhaltung pur. Da wird gesungen, getanzt, gespielt, mit Sprache jongliert, daß es eine Freude ist. Die Story allerdings ist etwas platt: Jane hat keinen Bock mehr auf Harry der sowieso mehr Bock auf Gisela hat — also angelt sich Jane ihren »Tarzan«. Der ist —tja— Neuberliner und kennt die Weiden Nordfrieslands besser als die Betten Berlins. Aber da er noch Jungfrau ist, kann die Geschichte beginnen. Und so strudeln dann auf der Bühne zwei Paare durchs Wildwasser der Liebe (gähn). Die Songtexte sind auf Deutsch, und sie sind genauso kitschig wie ihre amerikanischen Vorbilder. »Dschungel Dschuppies« ist ein gelungenes Empfehlungsschreiben an die Unterhaltungsindustrie, es fehlt ein wenig der Inhalt, die Form ist wunderbar. Fr—So, 20.00. (Foto: David Baltzer/ Sequenz)

Wenn Alfons Kujat in die Rolle des Francois Villon schlüpft, um wiedereinmal dessen Lebensbeichte zu deklamieren, dann bleibt kein Auge trocken. So verqualmt und schummrig ist der Theaterraum im Café Kuckucksei, daß man schon beim Eintreten den Geruch von Lebensversicherung und Körperpflege abstreift. Den Hintern darf man zur Belohnung auf harte Hocker setzen, und die Tavernenidylle wird schon bald komplettiert durch Rotweinflecken auf des Besuchers Kleid. Denn Kujat spielt nicht, er macht ernst. Keine Frau, die in den folgenden zwei Stunden nicht angemacht, kein Mann, der nicht zum Wicht geschrumpft wird. Theater ist für das Theater Vanilla Gorgon in diesem Fall, all das zu tun, was sich die Besucher selber selten trauen. Hier wird gesoffen, gefressen, gesabbert, gegrabbelt, geprügelt; nur eines spart sich Villon auf, das mit dem Sex, das ist ihm dann doch ein paar edle Verse wert. »Ich bin so wild auf Deinen roten Erdbeermund«, geil und lebensgroß liefert Kujat die seit Kinski schönste Rezitation dieses Versungetüms. Kujat ist bei alledem nicht eklig, nur aufdringlich bis zur Schmerzgrenze. Hinterher wird die Kulisse zur echten Kneipe, die Rinderzunge, die Villon kurz vorher noch im Maul hing, sie kann nun gegessen werden. Fr—So, 20.30.

Hopscotch heißt soviel wie Himmel und Hölle oder Hinkepinke. Der Regisseur Barnaby Gale ist ein Freund der Metapher, Geradliniges zu inszenieren ist nicht seine Sache. Das Bühnenbild im Theater Zerbrochene Fenster besteht aus einem riesigen Labyrinth. Sieben Bühnen gibt es, dazwischen verschlungene Gänge, eine Wahnsinnsarbeit für den Bühnenbildner, der Hauptteil der kreativen Aufwendungen ist dann auch hierhinein geflossen. Schon in Gales letztem Stück (»Sand« in der St. Thomas-Kirche) war der Bühnenbau eine Sysiphosarbeit, hier aber kann man es nur noch mit der Schöpfungsgeschichte vergleichen. Etwas verloren nehmen sich darin die Schauspieler aus, die man immer mal wieder in irgendeiner Ecke antrifft. Sie spielen Fragmente, je zehnminütige Theatersplitter aus dem Familienleben der Bergmanns. Das ist so überwältigend nicht, aber zusammengehalten wird die Idee durch einen weiteren Kunstgriff: Pro Bühne stehen drei Spielversionen zur Verfügung, die Entscheidung trifft das Los des Zuschauers. Ein exotischer Einfall, aber nurmehr eine Mischung aus Kirmes und Theater. Fr—So, 19.45—22.00 (alle 15 Min. Einlaß für je 7 Zuschauer, vorher reservieren!). Joachim Schurig

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