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Zuerst kommt das Möbel

■ Adolfo Assor präsentiert »Anti-Poesie« von Nicanor Parra im Garn-Theater

In Gedanken vertauscht man leicht die im übrigen gar nicht so weit voneinander entfernte Katzbach- mit der Katzlerstraße. Auf der Suche nach Anti-Poesie, trifft man im Regen auf kleine Gruppen halbwüchsiger Mädchen, die in Hausfluren konzentriert geheimnisvolle Pläne schmieden und den auslachen, der sie vergeblich nach seinem Theater fragt. Man war wohl zu lange nicht bei Adolfo Assor gewesen und ohnehin wird's am Wetter gelegen haben, dem selbst kein fröhliches Fußballspiel Einhalt gebieten konnte.

Dem Wetter entrinnt man nur bei Freunden. Das Garn-Theater ist solch ein guter Freund. Matt- schwarz beruhigen die Kellerräume das gestreßte Auge, die Höhe der Kellerräume mißt man nicht mit dem Blick, wie in den großen staatlichen Bühnen, sondern spürt sie mit dem ganzen Körper. Wo das Off-Theater lebt, lebt es von der Aufhebung der Distanz zwischen Zuschauer und dem Schauspieler, der dem wohlgesonnenen oder unwirsch gestimmten Zuschauer ab und an ganz direkt ins Auge blickt.

Die Augen von Assor sind braun. Freundlich begrüßen sie seine Zuschauer und der Mund spricht die ersten Verse; zunächst in Spanisch, dann in Deutsch; dann wieder in Spanisch. Unter jedem Stein findet man in Chile einen Dichter.

Ein neuer Schnurrbart ziert Assors Gesicht, ein Regenschirm in beige dient stolz auch als Stöckchen (oder Ruder, oder man kann den Regenschirm ja auch lustig herumschwenken), hochaufgeschlossen ist das weiße Rüschenhemd des verarmten Poeten, lange Rockschöße, die auch vor 60 Jahren schon etwas out of time gewirkt hätten und vor allem ein schwarzer Zylinder vervollständigen das Bild eines stolz verarmten poetischen südamerikanischen Adels aus frühen Filmtagen. Tatsächlich schlurft und hüpft, scharwenzelt, tänzelt, deklamiert kindisch, schelmisch lächelnd, gestikuliert ironisch bittend, dankend, abwehrend — aber, aber — oder einladend der Schauspieler so unbeschwert um einen schwarz drapierten Kindersarg herum, daß er ein wenig an Groucho Marx erinnert. Und im hohen Raum verhallen die warmen Vokale.

Rhythmisierter Wohlklang und geordneter oder delirierender Sinn sind für den Zuschauer, der des Spanischen nicht mächtig ist, zweisprachig verteilt. Erst kommt der Klang, dann verkehrt sich die Zeit immer wieder in den Worten. Zuerst kommt das Möbel, dann erst der Baum, und die Kunst steht plötzlich da, wo die Natur stehen wollte. Pappmenschensilhouetten stehen auf dem Kopf, eine weiße Treppe, die direkt in den Himmel führt, endet an der steinernen Wand; am schönsten und poetischsten sind die Wiederholungen, »und die Fuchsie gleicht einer Fuchsie« und tänzelt hurtig durch den Raum. »Doch am ungewöhlichsten sind die Atomexplosionen.«

Anti-Poesie hat Adolfo Assor die theatralische Fassung einiger Gedichte des 1917 in einem kleinen Ort bei Santiago de Chile geborenen Poeten Nicanor Parra genannt. Der in Süd- und Nordamerika vielgerühmte Lehrersohn, der sich eine Zeitlang auch im romantischen Reich des Physiklehrerlebens umtat, der von Chile sagte, es sei kein Land, sondern »in Wirklichkeit nur Landschaft«, widerrief wie soviel große Dichter am Ende all sein Schaffen. »Obwohl es mit Blut geschrieben ist, ist es nicht das, was ich wollte.« Detlef Kuhlbrodt

Adolfo Assor noch bis zum 21. April im Garn-Theater, jeweils um 20.30 Uhr.

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