Standbild: Schwulen-Biotop kippt

■ "Kalte Zeiten...", Mi., DFF, 17.35 Uhr

Schwules Leben in den neuen Bundesländern: Peter und Detlef, beide Mitte 30 und Berufsschullehrer, haben sich vor Jahren in der evangelischen Studentengemeinde in Leipzig kennengelernt. Seitdem leben sie zusammen. — Der Medizinstudent Tom und der Konservator Leander fühlen sich auch nach einem Jahr noch immer wie frisch verliebt. Die beiden Twens aus Leipzig können es kaum fassen. — Und der 63jährige Transvestit Lothar alias Charlotte konserviert in seinem Privatmuseum bei Berlin seit 35 Jahren liebevoll Reliquien aus der Gründerzeit.

Stasi, Kirche und Enthaltsamkeit: Regisseur Michael Aue inszeniert in seiner Reportage einmal mehr das idyllische Schwulen-Biotop der Ex- DDR. „Nur wegen Sexualität braucht man keine Beziehung einzugehen“, meint denn auch Tom. Für ihn und Leander zählen Zuneigung und Zärtlichkeit.

Aue hakt nach: „Und die neuen Kommunikationsformen aus dem Westen, wie Kneipen, Saunen, Gruppensex?“ Das alles führe nur zur Anonymität, befürchten Tom und Leander.

Was hatten die DDR-Schwulen es doch gut: Ihre Szene war die Kirchengemeinde, statt Discos gab es Diskussionen, und mit der Stasiwanze im Bettpfosten gedieh die Monogamie weitaus besser als mit dem Westporno im Videorecorder.

„Es wurde alles registriert“, beschreibt Detlef die Allgegenwart der Stasi in den schwulen Kirchenzirkeln. Aber: „Wir taten ja gar nichts gegen den Staat.“ Auch „Charlotte“ konnte mit der Stasi durchaus leben: „Wir taten doch nichts“, sagt auch er. Die Stasi lauschte, aber störte nicht. Die Schwulen besaßen einen gemeinsamen Feind, der übermächtig, aber zumeist harmlos war. Aue beschwört die so entstandene Romantik der schwulen Notgemeinschaft in der Ex-DDR, doch er verdrängt die wichtige Rolle einer ambivalenten Staatsgewalt, die im Jahre 1988 den DDR-Schwulenparagraphen 151 streichen ließ — Konsequenz eines sozialistischen Avantgarde-Anspruchs, der teilweise sogar ehrlich gemeint war.

Alles passé: Auch die Schwulen in den neuen Bundesländern verfallen inzwischen dem Bananensyndrom, die kirchlichen Lesezirkel lösen sich auf und statt dessen droht „die Heimsuchung“ durch die westliche Schwulenszene. Doch Aue spricht gar nicht erst mit denjenigen, die heimgesucht werden oder sich vielleicht auch gerne heimsuchen lassen. Statt dessen präsentiert er die Protagonisten einer vergangenen Schwulenidylle, die nicht zuletzt deshalb so intakt erschien, weil der Staat so kaputt war.

Den einzigen positiven Aspekt der Post-Wendezeit handelt Aue gleich am Anfang seiner Reportage ab: Eine politische Schwulengruppe darf inzwischen ein Mahnmal im KZ Buchenwald aufstellen. Ein anderes wichtiges Thema entging indes der eingeengten Wahrnehmung des Autoren: Aids interessiert mittlerweile auch die Ost-Schwulen. Marc Fest