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KOMMENTAREDer Weltpolizist und die Welt

■ Über das militärische Eingreifen der USA im Nordirak

Da nun die USA eingreifen, ist das Aufatmen ungeteilt. Und zu diesem Aufatmen sollte man stehen, selbst wenn es nur von dem erbärmlichen Motiv getragen ist, daß die Bilder vom endlosen Sterben in den Schneeregionen des Nordiraks einfach nicht mehr ertragen werden können. Die politische Kehrtwendung Bushs ist auf jeden Fall ein großer Sieg der öffentlichen Meinung, umso mehr, als für die Weltmacht mit dieser Intervention nichts mehr zu gewinnen ist als die Rettung von Menschenleben. Daß die USA mit dieser Intervention gezögert haben und daß dieses Zögern den Tod Tausender Kinder bedeutet hat, ist nur zu wahr. Daß Bush am innenpolitischen Triumph, am geplanten und pünktlichen Abzug der amerikanischen Verbände so lange festgehalten hat, entsprang dem Vietnam-Syndrom, das man, auch wenn's schwer fällt, ernst nehmen muß. Es ist kein Anlaß, die Intervention jetzt wegen ihrer Verspätung herabzusetzen. Im Gegenteil: Dieser Kurswechsel der amerikanischen Politik verdient gerade deswegen Achtung, weil das amerikanische Eingreifen von dem Bewußtsein begleitet wird, daß die USA nun doch mit ihrer Rettung der Kurden in die nächste Etappe des Golfkrieges hineingezogen werden.

Die deutliche Betonung des exzeptionellen und begrenzten Rettungsakts und die Versicherung, daß an keine Einmischung in die irakische Innenpolitik gedacht ist, verraten, wie sehr die Gefahr gesehen wird. Selbstverständlich fragt man sich sofort, wie die Kurden nicht nur überleben, sondern leben sollen. In Zelten, mit alliierten Soldaten Gewehr bei Fuß? Unzweifelhaft, Humanität muß handeln, auch bewaffnet, auch wenn kein humaner Ausweg in Sicht ist. Aber gäbe es diese Einsicht auch, wenn uns die Fernsehbilder nicht verfolgt hätten, hier, in diesem selbstgerechten Land, in dem man sich erst engagiert, wenn die Dinge im Gänsemarsch der grundsätzlichen Lösungen marschieren?

Man könnte über die lange, quälende, sich in den Fronten verdrehende Golfkriegsdebatte schweigen, wenn nicht jetzt schon der billige Vorwurf kursieren würde, daß die USA im Norden Iraks eingreifen müssen, weil sie seinerzeit im Süden stehen geblieben sind. Was damals ein imperialistischer Angriff auf die irakische Nation gewesen wäre, ist nun ein humanitäres Gebot. Während Konservative bei der Frage der Intervention auf irakischem Gebiet eher zögerten, wurde sie von Linken vehement herbeigewünscht, die wiederum bereit waren, angesichts der Gefahr des Golfkrieges die Schlächtereien an den Kuwaitern hinzunehmen. Mehr noch: Die USA haben jetzt unter der verhaltenen Zustimmung aller eine Rolle übernommen, die vordem immer zum moralischen Generalvorwurf reichte — die des Weltpolizisten. Mit diesem Eingreifen verändert sich die Weltpolitik.

Noch vor einem halben Jahr wurde ein grüner Politiker wie Udo Knapp, der angesichts der Politik von Saddam Hussein nach einer Interventionsmacht, nach einem Weltpolizisten rief, rabiat als Kriegstreiber diffamiert. Denn die Chance wurde vertan, das zu begreifen, was jetzt hilflos erfahren wird: die überjährige Selbstgerechtigkeit, die Identität von anti-imperialistischem Weltbild, moralischer Empörung und Solidarität mit den Opfern ist dahin. Geblieben sind moralische Zweideutigkeit und politische Hilflosigkeit.

Erst wenn das begriffen wird, dann kann man sich auf das Dilemma dieser Weltpolizistenrolle vorbereiten. Es ist klar, daß das Eingreifen der Amerikaner noch einmal die Notwendigkeit einer internationalen Interventionsmacht demonstriert. Daran darf sich die deutsche Debatte über die Rolle der Bundeswehr nicht mehr vorbeischmuggeln. Wer jetzt aufatmet, daß wenigstens das Überleben der Kurden garantiert ist, kann der Frage nach der Autonomie der Kurden nicht ausweichen. Solange aber Saddam Hussein an der Macht ist, ist kein vertraglicher Zustand denkbar. Wer nicht will, daß die Kurden über Jahre in Zeltlagern vegetieren müssen, muß auch den Sturz von Saddam Hussein unterstützen.

Der Ruf nach der UNO macht die Konsequenzen nicht bequemer. Denn man plädiert damit auch für eine weltpolitische Verallgemeinerung der Intervention. Selbstverständlich hat Genscher recht, daß Genozid keine innere Angelegenheit sein darf. Aber in wievielen Nationen leben Völker und Minderheiten am Rande des Genozids. Niemand kann es Tibetern oder Armeniern verwehren, sich dann durch eine solche UNO-Intervention für die Kurden ermutigt zu fühlen und gegen die schwebende Drohung ihrer Vernichtung aufzustehen. Ist dann nicht die UNO vom Zerfall oder von der Ohnmacht bedroht? Es gibt keinen Ausweg: Das Bewahren von Menschenleben wird immer wieder ein Eingreifen mit militärischer Gewalt nötig machen — ohne daß es nur den Ansatz einer neuen Weltordnung, einer grundsätzlichen Lösung der Weltkonflikte oder ein Ende der Ausbeutung der Dritten Welt gibt oder sonst irgendeine Art von Silberstreif am Horizont auftaucht. Klaus Hartung

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