piwik no script img

Ein »Stück gebaute Utopie der DDR« vor dem Verfall

■ Ausstellung über den »Boulevard der Werktätigen«, die frühere Stalin- und heutige Karl-Marx- und Frankfurter Allee, vor der Sanierung

Friedrichshain. Ein »Stück gebaute Utopie der DDR« sei die Stalinallee gewesen, sagte Bruno Flierl, Ostberlins Architektenkoryphäe etwas wehmütig anläßlich der gestrigen Eröffnung einer Ausstellung mit dem Titel Geschichte und Zukunft einer deutschen Straße — Frankfurter Allee, Stalinallee, Karl-Marx-Allee im Frankfurter Tor. Die Friedrichshainer Magistrale, Anfang der fünfziger Jahre als »Boulevard der Werktätigen« konzipiert und als »stalinistische Zuckerbäckerarchitektur« und »Potemkinsches Dorf« geschmäht, steht nun, nach Jahren des Verfalls, zur baldigen Sanierung an.

Im Oktober 1990 wurde das gesamte Ensemble unter Denkmalschutz gestellt. In der nächsten Zeit wird die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain einen Wohnblock an der Straße exemplarisch untersuchen lassen, um daraus erst einmal ein Modell für eine behutsame Sanierung zu entwickeln.

Einen ersten Entwurf für die Karl- Marx-Allee, die im weiteren Verlauf Frankfurter Allee heißt und bis 1961 Stalinallee hieß, gab es schon 1945. Damals entwarf Hans Scharoun einen neuen Plan für das zum großen Teil zerstörte Berlin, der eine radikale Aufhebung alter Straßenstrukturen und ein Gegenkonzept zur Speerschen Stadtplanung vorsah. An der Frankfurter Allee sollte die innerstädtische Enge weichen, die Straße sollte beispielhaft mit modernen Wohnhäusern und weiten Freiräumen ausgestattet werden.

Von dieser Idee sind nur zwei fünfgeschossige Laubenganghäuser übriggeblieben. Noch während des Baus dieser Häuser setzte in der DDR eine ideologische Umorientierung ein, hin zur repräsentativen Architektur nach dem Vorbild der Moskauer Gorkistraße. Die Mietskasernenstadt der Weimarer Zeit sollte überwunden werden. Gleichzeitig grenzte sich die SED gegen das Westberliner Konzept der Begrünung der Großstadt und ihrer Auflösung in Wohnsiedlungen ab, kritisierte aber auch die »Amerikanisierung« westdeutscher Großstädte wie Frankfurt am Main. Dagegen setzte eine Gruppe von Architekten unter der Führung von Hermann Henselmann die monumentale Frankfurter Allee. Deren einheitliches Bild wurde auch dadurch möglich, daß Ost-Berlin keine Rücksicht auf die Interessen einzelner Grundstückeigentümer nehmen mußte.

Eine »völlig neue Sozialstruktur« sei hier entstanden, Arbeiter seien eingezogen und Opfer des Naziregimes, führte Architekt Flierl weiter aus. Die Straße habe sich nach dem Krieg rasch zum Anziehungspunkt in einer zerbombten Umgebung entwickelt, wenn auch, so Flierl, die »Bezeichnung als 5th Avenue des Ostens nicht zutreffend« sei. Daß die Prachtstraße potemkinsche Züge getragen habe, kann Flierl nachvollziehen, denn nur wenige hundert Meter rechts und links davon sei alles zerstört gewesen. Jedoch hätte die Allee »gelebt und funktioniert«.

Die Stalinallee wirkte sogar in den Westteil Berlins hinein: 1957 wurde im Rahmen der »Interbau« das Hansaviertel als »Gegenmodell« errichtet, eine Sammlung locker gestreuter Hochhäuser im grünen Tiergarten, als moderne Architektur für Mittelschichten gedacht, wie Flierl sagte — nicht ganz zutreffend, denn auch das Hansaviertel ist sozialer Wohnungsbau. In den siebziger Jahren schließlich habe man den Widerspruch erkannt, ein Sozialprogramm in Herrschaftsarchitektur verwirklichen zu wollen, meinte Flierl. 1974 wurde das industrielle Wohnungsbauprogramm mit seinen Plattenbauten beschlossen. Das Modell Stalinallee — die inzwischen schon Karl-Marx-Allee hieß — war damit überflüssig geworden.

Heute sieht es düster aus in der Karl-Marx-Allee, obwohl sie unter den Berlinern beliebt blieb. »Wer von Marzahn hierherziehen kann, schätzt sich glücklich«, meinte Friedrichshains Baustadtrat Hannemann. Seit Jahrzehnten sei die Bausubstanz vernachlässigt worden, sagte der Staatssekretär der Umweltverwaltung, Wolfgang Branoner. Bezirk und Senat waren sich einig, daß das »Rückgrat von Friedrichshain« erneuert werden müsse.

Das Westberliner Architektenbüro Martin & Pächter hat eine Bestandsaufnahme der Magistrale erarbeitet und plädiert für eine »Verdichtung und Belebung« an den freien Stellen zwischen den Wohnblöcken, um das »hohle Pathos« der Straße zu überwinden. Denn die Straße suggeriere nur durch ihre Größe eine überörtliche Bedeutung, tatsächlich sei sie eine Wohnstraße mit einigen Läden für die lokale Versorgung.

Nicht nur die Fassaden sollen in neuem Glanz erstrahlen, sondern man müsse sich auch um das Wohnumfeld, die Straßenbäume, die Grünflächen kümmern. Auf jeden Fall, so die Behörde, müsse man darauf achten, die Bewohnerstruktur zu erhalten. »Die Beteiligung der Bürger an der Stadterneuerung ist unabdingbar«, meinte Branoner. Wo die Mittel dafür freilich herkommen sollen, ist noch nicht entschieden. Einen Haushaltstitel dafür gibt es nicht, hieß es in der Senatsbauverwaltung. Eva Schweitzer

Die Ausstellung ist zu sehen im Infozentrum Bauen und Umwelt am Frankfurter Tor 9, U-Bahnhof Frankfurter Tor, vom 19. April bis zum 31. Mai, dienstags und donnerstags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und freitags von 10 bis 16 Uhr. Gleichzeitig ist in dem Laden die Umweltberatungsstelle für Friedrichshain untergebracht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen