Die »weißen Flecken« des nordostdeutschen Rundfunks

■ Eine Woche nachdem der Nordostdeutsche Rundfunk von den Staats- und Senatskanzleien Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs und Berlins aus der Taufe gehoben wurde, ist sein Überleben schon nicht mehr sicher

Berlin. Das Werk ist von geradezu alternativer Machart. Gleich vier Rundfunkräte, drei Direktoren und ein Intendant sollen, so sieht es das »Eckwertepapier« der drei Landesregierungen vor, die Geschicke eines zukünftigen Nordostdeutschen Rundfunks lenken. Aus ihrer Mitte entsenden die Landesrundfunkräte jeweils neun Mitglieder in den gemeinsamen Rundfunkrat. Aber die vielen Gremien verfügen jeweils über wenig Kompetenz. Denn: Die Haushaltsfeststellung soll, anders als bislang beim SFB, dem Verwaltungsrat zugeschanzt werden, einem Gremium, das gleichfalls nach Länderproporz besetzt ist und mit Dreiviertelmehrheit entscheiden muß.

Was vom medienpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Joachim Günther, als »fairer Kompromiß zwischen den Interessen Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns und Berlins« begrüßt wird, stößt ausgerechnet bei den Experten für alternative Strukturen auf Ablehnung. »Ein weitgehend bedeutungsloser Wasserkopf«, moniert die Medienreferentin der AL, Alice Ströver. Doch der scheint vonnöten, um die divergierenden Interessen unter einen Hut zu bringen. Wochenlang hatte man in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Norddeutschen Rundfunk kokettiert. Noch im März bastelte die dortige SPD an einem Gesetzentwurf über den »Rundfunk Brandenburg«, während die Staats- und Senatskanzleien bereits an den Eckwerten einer Dreiländeranstalt feilten. Dieser Gesetzentwurf, so wird von der SPD-Fraktion betont, sei auch jetzt noch nicht vom Tisch — doch dient der Verweis darauf eher als Druckmittel, um Nachbesserungen im NOR-Modell zu erzielen. Denn die Eckwerte sind den Brandenburgern zu »berlinlastig«. Sie fürchten die Dominanz der Hauptstadtfunker vom SFB »vor allem im personellen Bereich«. Daß der Schuldenberg des SFB in die zukünftige gemeinsame Anstalt eingebracht werden soll, wollen die Potsdamer Sozis genausowenig einsehen wie ihre Parlamentskollegen vom Bündnis 90. Statt dessen wird mehr Eigenständigkeit gefordert und die Absicherung der DEFA-Filmproduktion ebenso angemahnt wie der Erhalt des Senders Antenne Brandenburg. Dieser kann immerhin auf eine landesweite Einschaltquote von 34 Prozent verweisen, womit er sich in den Augen von Chefredakteur Matthias Winter »als wirklicher Landessender profiliert« hat.

Zwar wird der geplante Nordostdeutsche Rundfunk von Intendanz und Rundfunkrat des SFB einhellig begrüßt — doch der Aufforderung ihres obersten Dienstherren von Lojewski, sich »kräftig auf die Socken zu machen« für »die schöne Aufgabe«, mögen die Mitarbeiter nicht recht Folge leisten. Bei einigen wächst die Angst, künftig auf Kyritzer Ackerfurchen statt in Kreuzberger Häuserschluchten recherchieren zu müssen. Da werden schon, so ein Mitarbeiter, »Mentalitätsprobleme« beim Zusammenwirken mit Ostkollegen ausgemacht. Ein anderer bringt seine Befürchtung auf den Punkt: »Da muß zusammenwachsen, was nicht zusammengehört.«

Daß dabei der Mitarbeiterbestand nicht leidet, ist eine der großen Sorgen des Personalrates. Zwar hat Intendant von Lojewski versichert, daß beim SFB keine Arbeitsplätze gefährdet seien, doch die Vorsitzende der Belegschaftsvertretung, Hannelore Daum, ortet »noch zu viele weiße Flecken in diesem Bild einer nordostdeutschen Rundfunkanstalt«. Einer dieser Flecken ist die zukünftige Personalgröße. Zwischen den Ländern ist nur eine Beschäftigtenquote von 1:2:2 (Brandenburg/ Mecklenburg-Vorpommern/ Berlin) festgelegt — über die absoluten Zahlen kursieren nur Spekulationen. So sollen von den knapp 1.500 Stellen beim SFB mittelfristig 250 eingespart werden.

Auch wenn der SFB, wie Senatskanzleichef Volker Kähne fordert, »den Ausbau der anderen Landesrundfunkanstalten sachlich und personell unterstützt« und »einzelne Organisationseinheiten« in die neuen Länder gehen, will der Personalrat ein gewichtiges Wörtchen mitreden.

Eher skeptisch betrachtet man hingegen den Personaltransfer in umgekehrter Richtung, von Ost nach West. Die Stimmung in der Belegschaft, so die Einschätzung der Personalratsvorsitzenden, ist »eher gegen die kollektive Übernahme von Mitarbeitern aus Ostberliner Einrichtungen«. »Unerträglich«, findet ihr Intendant Christoph Singelnstein »die totale Ausgrenzung von Mitarbeitern aus Adlershof und Nalepastraße«. Er verweist auf die Einschaltquoten seiner Sender, die mit denen des SFB durchaus konkurrieren können. Zwischen den Funkhäusern in Ost- und West-Berlin herrscht derzeit Funkstille. Während die CDU die reservierte Haltung des SFB eher teilt, kann sich Joachim Günther durchaus vorstellen, »das Berliner Programm als ein Modul der Einrichtung« zu übernehmen. Er rechnet mit etwa 150 Ostmitarbeitern, die damit unter das Dach des SFB schlüpfen könnten. Zum Ausgleich soll der Berliner Landessender noch über 1991 hinaus seine 94 Millionen DM Finanzausgleich von der ARD beziehen. Während die Berliner und Brandenburger Probleme noch überwindbar erscheinen, sieht sich Ministerpräsident Alfred Gomolka (CDU) in Mecklenburg-Vorpommern einer starken Phalanx von NOR-Gegnern gegenüber. Die mitregierende FDP sieht sich von der »selbstherrlichen Vorgehensweise der Staatskanzlisten« übertölpelt und die oppositionelle SPD will gar der landmannschaftlichen Vorliebe für den NDR notfalls mit einem eigenen Gesetzantrag Nachdruck verleihen. Und so könnte der NOR bereits am kommenden Dienstag sein vorzeitiges Ende finden. Denn dann will der Landtag in Schwerin darüber beraten. D.R.