: Schuld, aber nicht schuldig und nicht haftbar
■ Deutsche, Italiener und Amerikaner verhandeln über die Entschädigung der Opfer von Ramstein. Bonn umgeht die zivilrechtliche Klärung der Schuldfrage und übernimmt eine partielle „Staatshaftung“.
Anderthalb Jahre nach dem Flugtag-Desaster von Ramstein verhandeln Deutsche, Italiener und Amerikaner noch immer über ihren Anteil an den Entschädigungen für die Opfer. Bislang wurden laut Bundesfinanzministerium etwa 20 Millionen Mark ausgezahlt. Die Gesamtsumme wird auf 60 bis 65 Millionen Mark geschätzt. Darin enthalten sind künftige Rentenleistungen sowie die weiterhin notwendige medizinische Betreuung von Opfern.
Italien muß gemäß Nato-Truppenstatut (NTS) insgesamt fünfundsiebzig Prozent der Entschädigungssumme tragen. Gemäß bundesdeutschem Luftverkehrsgesetz nämlich ist Rom als „Halter“ der abgestürzten Militärmaschinen haftbar. Dies gelte „unbegrenzt“, sagte ein Finanzministerialer zur taz. Italien müsse sogar für Schmerzensgeld aufkommen. Nur: Gezahlt wurde bisher nichts. Auch deshalb ist es den Italienern derzeit besonders unangenehm, daß der Fall Ramstein aufgrund des taz-Artikels über mögliche Zusammenhänge mit einer früheren Flugkatastrophe (Abschuß einer DC-9-Linienmaschine über dem Mittelmeer) wieder ins Gespräch gekommen ist.
Derzeit verhandelt Bonn auch mit Washington. Die USA sollen als Veranstalter vier bis sechs Millionen Mark Schadenersatz übernehmen. Die USA wollen den Betrag herunterhandeln. Der US-Beitrag würde dann von der Gesamtsumme abgezogen werden. Die verbleibenden 55 bis 60 Millionen Mark müßten dann außer von den Italienern auch zu einem Viertel von Bonn getragen werden. Dies entspricht der Nato- üblichen Regelung bei Manövern gemäß NTS- Artikel VIII, Absatz 5. Der Grund: Zwar war der Ramstein-Flugtag für Zivilisten inszeniert, Träger aber waren die US-Streitkräfte. Somit wurde der Flugtag rechtlich einem Manöver gleichgestellt (obwohl er kein Manöver war), was die Zuständigkeit des NTS erklärt. Die Regelung gilt auch vice versa: Richten deutsche Streitkräfte bei Manövern etwa in Kanada Schaden an, so müßte Kanada ein Viertel des Schadens bezahlen, Bonn drei Viertel.
Zwar habe „Italien mit seinen Maschinen den Absturz verursacht“, so der Finanzministeriale weiter, „aber ein Verschulden der Piloten hat man nicht nachweisen können“. Zumindest habe die Staatsanwaltschaft „nichts gefunden“. So wirft die Praxis der Entschädigung auch ein bezeichnendes Licht auf die Schuldfrage. Denn obwohl die Katastrophe von Ramstein angeblich auf das Konto „menschliches Versagen“ des Solo- Piloten der italienischen Kunstflugstaffel „Frecce Tricolore“ ging, wurde dieser gerade nicht haftbar gemacht!
Der Grund: Aus „menschlichem Versagen“ lasse sich, so der Ministeriale, keine „Amtspflichtverletzung im zivilrechtlichen Sinne machen“. Eine solche sei schwer nachzuweisen. Das Unglücksmanöver sei „wie eine artistische Nummer im Zirkuszelt gewesen“. Man wisse nicht, ob der Pilot ein „Blackout gehabt habe oder sowas“.
Statt eines zivilrechtlichen Verfahrens zur Klärung der Schadensersatzansprüche von Opfern an die Italiener, trat eine „Staatshaftung“ in Kraft, die es bis dahin in der Bundesrepublik nicht gab.
Für dieses Vorgehen gibt es keine gesetzliche Grundlage, nur höchstrichterliche Urteile. Ein Gesetzesentwurf zur Staatshaftung, mit dem noch die sozialliberale Koaltion in Bonn die Gesetzeslücke schließen wollte, war von den CDU- dominierten Bundesländern damals mit einer Verfassungsklage abgeschmettert worden. Der Vorteil des unkonventionellen Vorgehens im Fall Ramstein: Den Opfern konnte schneller geholfen werden als nach womöglich langwierigen Rechtsstreitigkeiten mit den Italienern. Der Nachteil: Die zivilrechtliche Aufklärung — und damit die Klärung der Schuldfrage — des Flugunglücks blieb auf der Strecke. Werner Raith/Joachim Weidemann
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