: Tod in Ramstein: Spur in Italien
Neue Ermittlungen über den Absturz eines Passagierflugzeuges und einer MIG in Italien 1980. Weitere Recherchen über die Flugkatastrophe von Ramstein 1988 legen einen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen nahe. ■ W. Raith/J. Weidemann
Jahrelang bewegte sich so ziemlich alles auf der Stelle; doch nun scheint plötzlich geradezu stürmischer Wind in die Sache zu kommen: Nahezu kein Tag, ohne daß neue, immer beunruhigendere Einzelheiten über den Absturz einer DC-9 der Itavia mit 81 Menschen an Bord nahe der Mittelmeerinsel Ustica im Jahr 1980, ans Licht kommen und Verdächte über mögliche Zusammenhänge zwischen jener Katastrophe und dem Zusammenstoß der Kunstflugstaffel „Frecce tricolore“ acht Jahre später in Ramstein (70 Tote) neue Nahrung finden. Gleichzeitig sind jedoch auch schon wieder neue Manöver zur Verschleierung der Wahrheit zu erkennen.
Der Reihe nach. Gesichert ist seit wenigen Tagen, daß die DC-9 der Itavia 1980 nicht, wie von der Regierung stets behauptet, wegen Maschinenschadens oder einer Explosion an Bord abgestürzt ist: Das Flugzeug wurde von einer Rakete getroffen.
Einige gesicherte Erkenntnisse
Gesichert ist auch, daß, im Gegensatz zu der Versicherung des italienischen Militärs, zur Zeit des Unglücksfluges von Bologna nach Palermo eben doch militärische Flugmanöver im Gang waren. Und gesichert ist weiterhin, daß daran zwei der drei in Ramstein zu Tode gekommenen Piloten der „Frecce tricolore“ beteiligt waren. Die Ermittlungen des seit 1990 neu ermittelnden Untersuchungsrichters Rosario Priore haben ergeben, daß die beiden in einem T-104-Jäger aufgestiegen waren, was auch aus den vom 'Corriere della serra‘ und 'il manifesto‘ veröffentlichten Fluglisten der Militärbasis von Grosseto nördlich von Rom hervorgeht. Als Auftrag ist in der Liste die Chiffre „int.“ angegeben, was gemeinhin für „intercettazione“, Abfangen oder Aufklären steht. Eben in 'il manifesto‘ publizierte Auszüge aus weiteren Flugprotokollen des Tages belegen auch, daß die Ramsteiner Unglücksflieger — wie auch weitere Piloten — damals während eines Manövers unterwegs waren, bei dem ein Tornado- Übungsflugzeug Raketen abfeuern sollte. Der Bürgermeister von Grosseto, Giovanni Finetti, hatte überdies, wie die Wochenzeitung 'Avvenimenti‘ in ihrer letzten Ausgabe berichtet, kurz nach dem DC-9-Abschuß von Militärs in seiner Stadt erfahren, daß zur Zeit des DC-9-Fluges mehrere T-104-Jäger losgeflogen waren, um eine libysche MIG- Maschine abzufangen.
Tatsächlich hat sich mittlerweile auch herausgestellt, daß eine nach Militärangaben am 18. Juli 1980 im Sila-Gebirge in Unteritalien, etwa in Höhe der Insel Ustica, zerschellte MIG-23 in Wirklichkeit nahezu in derselben Minute abgestürzt ist wie die DC-9 der Itavia.
Einige myteriöse Todesfälle
Doch der Bürgermeister von Grosseto kann heute nicht mehr aussagen, von wem er die brisante Aussage gehört hat — er starb 1987 bei bei einem bis heute mysteriösen Autounfall. Er ist einer von vielen innerhalb weniger Monate vorzeitig verschiedenen möglichen Zeugen in Sachen Ustica — fast alle zwischen Anfang 1987 und Mitte 1988. Es starben: der Kommandant von Grosseto mit seiner Familie, ebenfalls Autounfall; der Leiter der Radarkontrolle, Herzinfarkt mit 32 Jahren; sein Stellvertreter, erhängt aufgefunden; ein Unteroffizier des Militärs, der die im Sila-Gebirge heruntergefallene MIG-23 zusammengesammelt hatte.
Und nichts mehr aussagen können die beiden Piloten Naldini und Nutarelli, die sich ausweislich der Flugliste in einer T-104 kurz vor dem Ustica-Unglück in der Luft befanden — sie kamen in Ramstein bei der Flugnummer „Durchstoßenes Herz“ um. Nach Angaben des italienischen Militärs — das nach dem Nato-Truppenstatut die ausschließliche Kompetenz bei der Untersuchung des Unfalls selbst hatte (die Deutschen durften nur die Rettungsmaßnahmen, die Amerikaner die Sicherheitsvorkehrungen bewerten) — soll ausschließlich ein Fehler des Solopiloten Ivo Nutarelli die Katastrophe verursacht haben. Eine Version, der nicht nur die überaus große Flugerfahrung des Flugzeugführers (mehr als 4.500 Stunden, sechs Jahre „Frecce“) entgegensteht, sondern auch eine Reihe von Erkenntnissen, zu denen eine erneute Wertung der Vorgänge von Ramstein unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Sabotageaktes geführt hat. So müßte der Pilot nicht nur einen, sondern hintereinander gleich fünf Fehler begangen haben. Besonders unwahrscheinlich — denn wie eine bisher nicht beachtete Stelle im amerikanischen Teil des Unfallberichtes besagt, hatte es bereits am Vortag bei der Generalprobe offenbar ein Problem gerade bei der Flugfigur „Cardoide“ gegeben, die dann am Show-Tag mißglückte. Der Militärbericht:
„Beim ,Pierced heart‘-Manöver überflog der Solopilot den Kreuzungspunkt der beiden anderen Gruppen jedoch nicht mit der üblichen Verzögerung von drei bis vier Sekunden, sondern etwas später. Aus Videoaufzeichnungen und früheren Proben und Vorführungen des Solopiloten geht hervor, daß er diesen Punkt regelmäßig innerhalb des vorgegebenen Zeitraums erreicht hatte.“
Dies könnte zu den Hinweisen passen, die die taz in ihrem ersten Ramstein-Artikel am 25. Januar 1991 zitiert hatte, wonach andere Kunstflieger die Vermutung äußerten, Nutarellis Maschine sei so sabotiert worden, daß der „Unfall“ nicht während der Vorführung, sondern bereits früher, etwa während der Überführung vom heimischen Flughafen bei Udine geschehen sollte.
Ein verdächtiger schwarzer Rauch
In jedem Falle hatte Nutarelli die Situation während der Generalprobe noch gemeistert. Im Abschlußbericht der CDU-CSU-FDP-Mehrheit des zum Untersuchungsausschuß konstituierten Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages heißt es, während der Generalprobe habe der Solopilot „besonnenes Verhalten“ gezeigt, „der nicht versuchte, seinen zeitlichen Rückstand durch ein riskanteres, schnelleres Flugmanöver aufzuholen, sondern die Verzögerung in Kauf nahm. Damit verfügte er über eine hinreichende Beurteilungsbasis hinsichtlich der Vereinbarkeit mit den Sicherheitsvorschriften, insbesondere einer eventuellen Gefährdung des Zuschauerbereichs.“
Doch am Tag danach raste er in die Gruppe seiner Kameraden — irgendetwas funktionierte nicht, sein Kompensationsmanöver vom Vortag klappte diesmal aus unerklärlichen Gründen nicht. Ein Blackout, wie ihn die deutschen Abgeordneten und das Verteidigungsministerium noch heute immer mal ins Spiel bringen, scheidet aus — die Aktionen Nutarellis sind derart präzise und kommen derart genau als Reaktion auf das Nicht-Greifen des jeweils vorangegangenen Manövers, daß auch nur eine kurzzeitige Konzentrationsschwäche völlig ausgeschlossen ist. Tatsächlich zeigt sich statt dessen in einer Aufzeichnung des Unglücksloopings, die besonders kontrastreich gegen den blauen Himmel aufgenommen ist, einen Augenblick lang in dem von den Flugzeugen zur besseren Erkennung ihrer Flugbahn ausgestoßenen grün-weiß-roten Nebelfahnen ein Stückchen schwarzer Rauch — genau in der Fahne des Solopiloten.
Die Entdeckung eines Göttinger Professors
Unhaltbar scheint nach alledem in jedem Falle die Behauptung des — noch immer als Verschlußsache behandelten — italienischen Militärberichts, alle Maschinen seien „regulär gewartet“ und ohne jedwelchen Defekt gewesen.
Weitergekommen ist Untersuchungsrichter Rosario Priore inzwischen auch in Sachen der abgestürzten MIG-23 und damit bei der Aufklärung des Unfallhergangs der „Ustica“-Maschine, der am Anfang der gesamten Affäre stand. Was nicht heißt, daß der gesamte Komplex nun vor der Lösung steht. Doch für den Ermittler, der bei der Übernahme des Falles Mitte 1990 versprochen hat, keine auch noch so vage Spur zu übergehen, schält sich nun immerhin deutlich heraus, was es alles an Widersprüchen gibt und welch gigantische Verschleierungsmaschinerie hier zugange war.
Die soeben bei Priore eingelaufenen ersten Ergebnisse neuer Gutachten enthalten nahezu auf jeder Seite Explosives. Das mit der Untersuchung beauftragte internationale Gremium von Experten förderte schon auf Anhieb zweierlei böse Erkenntnisse zutage: Erstens sind, aus unerklärlichen Gründen, in der Blackbox (dem Flugschreiber) der MIG just die entscheidenden Minuten vor und während des Absturzes gelöscht. Ein Faktum, das fatal daran erinnert, daß just zur selben Zeit (in der ja auch die DC getroffen wurde) angeblich auch in allen umliegenden Radarstationen die Geräte ausfielen oder Unverständliches produzierten — oder, wo dies nicht der Fall war, die Aufzeichnungen aus den Akten verschwanden, bevor sie ausgewertet waren. Und zweitens hat das italienische Außenministerium ein Jahr nach dem MIG-Absturz die gesamte einschlägige Dokumentation vernichtet — angeblich, weil niemand danach gefragt hat.
Doch die eigentliche Sensation brachte der Göttinger Professor für Flugkunde Hans Forsching in Zusammenarbeit mit zwei DDR-MIG- Experten ans Licht: Die heruntergefallene MIG hatte nur eine Reichweite von knapp 500 Kilometern. Was bedeutet, daß sie — vorausgesetzt, sie wollte wieder nach Hause fliegen — nur von drei Flugbasen gestartet sein konnte: Pratica di Mare, Gioia del Colle oder Sigonella, alle drei in Mittel- bzw. Süditalien. Entweder hat da also jemand Teile eines Flugzeugs ausgelegt, das hier gar nicht abgestürzt war, oder der Flug hat einem mächtigen Ablenkungsmanöver gedient, dessen Hintergrund noch völlig im Dunkeln liegt.
Ein offensichtlich gefälschtes Dokument
Bei so viel geradezu unglaublichen neuen Erkenntnissen kann es nun gar nicht anders sein: Mächtig und in alter Frische setzt sich auch schon wieder die Vernebelungsmaschinerie voll in Gang.
Kaum nämlich wurde das Thema nun allseits sehr ernsthaft aufgenommen, da sahen sich Ermittler wie Journalisten schon wieder mit einem Phänomen konfrontiert, das Italienkundige als besonders effektive Verschleierungsmanöver der italienischen Geheimdienste und anderer dunkler Zirkel kennen: Plötzlich werden diejenigen, die der Sache nachgehen, geradezu überschwemmt mit angeblichen „Dokumenten“ oder Zeugenaussagen. Wie sich dabei herausstellt, ist in allen mal ein großes, mal ein kleines Korn Wahrheit enthalten, in allen aber auch einiges falsch. Ziel: so viel Konfusion zu streuen, daß sich am Ende niemand mehr durchfindet und die Suche nach dem, was wirklich geschehen ist, unter einem Gebirge widersprüchlicher Details begraben wird.
So auch diesmal: Nicht nur der taz (wohl als der im Fall Ramstein meistzitierten Zeitung), sondern auch zahlreichen italienischen Redaktionen gehen nahezu täglich Hinweise zu, werden Dokumente angeboten, die eine mehr oder minder präzise Mord-Order für die Zeugen Nutarelli und Naldini beweisen sollen.
Eines davon, obwohl sicherlich eine Fälschung, verdient allerdings besondere Aufmerksamkeit: Es ist auf Papier des italienischen Verteidigungsministeriums geschrieben, mit „Riservatissimo“, also streng geheim, gekennzeichnet und mit dem Datum des 25. Mai 1988 versehen. Es ordnet, „mit Bedauern“, die „Eliminierung“ eines mit einer Nummer gekennzeichneten Piloten beim Flugtag vom Ramstein an, während für den zweiten Piloten „spätere Dispositionen“ angekündigt werden. Die Tat werde gut abgedeckt sein, so das Dokument weiter, da Ramstein eine amerikanische Base sei und der Pilot auch nicht mehr dem Nato-Verband selbst angehöre.
Natürlich wird wohl kein Geheimdienst oder Militär, der irgendwie bei Trost ist, eine Mordorder schriftlich fixieren. Doch das Schriftstück beweist große Insiderkenntnisse (so stimmen nahezu alle Chiffren und Codes) und ist von jemandem verfaßt, der den Jargon der Militärs aufs beste kennt. Daß einige Fehler eingebaut sind (etwa die Zugehörigkeit des einen Piloten zu einer bestimmten Staffel) muß nicht unbedingt gegen die Wahrheit des Inhalts sprechen. „Entweder versucht hier jemand aus dem militärischen Ambiente die Ermittlungen in die richtige Richtung zu lenken (und dann würden die Fehler nur dazu dienen, die Quelle zu verbergen)“, schreibt die Zeitschrift 'Avvenimenti‘, „oder wir stehen hier vor dem x-ten Vernebelungsversuch, gerade in dem Augenblick, in dem die Ermittlungen nach Jahren der Unbeweglichkeit wieder kräftig angelaufen sind.“
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