: Bundesbank: „Immense Summe“ für den Osten
■ 140 Milliarden allein 1991/ Arbeitsamtsgelder eingerechnet/ Direktor Issing wettert gegen Beschäftigungsgesellschaften
Frankfurt (ap) — In die neuen Bundesländer werden nach Angaben der Deutschen Bundesbank allein in diesem Jahr schätzungsweise 140 Milliarden Mark an westdeutschen Staatsgeldern fließen. Diese „immense Summe“ staatlicher Transfers werde noch weitgehend unterschätzt, sagte ihr Direktoriumsmitglied Otmar Issing am Freitag in Frankfurt. In diesem Jahr sei in Deutschland nicht mit Zinssenkungen zu rechnen; angesichts des gegenwärtig starken Geldmengenwachstums und der damit verbundenen Inflationsgefahren komme „eine Lockerung der geldpolitischen Zügel nicht in Betracht“, sagte er.
Über die historisch unvergleichbare westdeutsche Bereitschaft zur Unterstützung der neuen Länder dürfe man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sagte Issing. Ebenfalls weithin unterschätzt werde der „immense Transfer von westlichem Know-How“, der sich im Bereich von Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen vollziehe. Die Bereitschaft zum Aufbau der Wirtschaft müsse allerdings von den neuen Bundesbürgern selbst kommen.
Am Einsatz finanzieller Mittel liege es jetzt nicht mehr: Allein die Leistungen des Bundes, der alten Bundesländer, des Fonds „Deutsche Einheit“ und der Bundesanstalt für Arbeit machten mit den Mitteln aus dem ERP-Sondervermögen in diesem Jahr schätzungsweise 140 Milliarden Mark und damit weit mehr als die Hälfte der Gesamtleistung der ostdeutschen Wirtschaft aus.
Eindringlich warnte Issing davor, in Ostdeutschland „in großem Stile“ Beschäftigungsgesellschaften zu schaffen, also unrentable Betriebe zum Erhalt von Arbeitsplätzen zu subventionieren. Lösungsvorschläge wie dieser könnten „langfristig in die Horrorvision eines ostdeutschen Mezzogiorno führen“, erklärte er in Anspielung auf das wirtschaftlich und sozial marode Süditalien. Die sozialistische Planwirtschaft habe sich selbst nicht zuletzt als eine solche „riesige Beschäftigungsgesellschaft“ verstanden, und gerade daraus resultierten die gegenwärtigen Schwierigkeiten.
Zwar müsse gewiß noch „viel Geld von West nach Ost fließen, aber immer weniger in Form von Einkommenstransfer und immer mehr in investive Verwendungen“, erklärte Issing. Soweit dafür das Interesse westdeutscher und ausländischer Privatanleger geweckt werden könne, müsse sich niemand um die Finanzierung der „immensen Summen“ sorgen. Scharf warnte der Notenbankdirektor vor einer Fortsetzung der „atemberaubenden Lohnerhöhungen“ in Ostdeutschland.
Der Bundesbank falle in diesem Umfeld die Aufgabe zu, den Stabilitätskurs fortzusetzen, erklärte ihr Direktoriumsmitglied. Zwar bilde sich der Geldmengensprung, zu dem es bei der Umstellung der ostdeutschen Guthaben auf die westliche Mark gekommen sei, erwartungsgemäß „gleichsam von selbst“ zurück, weil die neuen Bundesbürger ihre Spareinlagen allmählich in langfristige Anlageformen umwandeln, die bei der Berechnung der Geldmenge nicht herangezogen werden. Da sich aber das monetäre Expansionstempo in Westdeutschland erhöht habe, liege „die Geldmenge in Deutschland gegenwärtig im Vorjahresvergleich knapp 20 Prozent höher“.
Daher werde es eine der zentralen Aufgaben der Geldpolitik sein, keinen Spielraum für einen Kosten- und Preisauftrieb zu ermöglichen, sagte Issing. Die Bundesbank hat wiederholt Kritik an den Forderungen der Gewerkschaften geäußert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen