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Fällt Mainz, kippt Bonn

■ Morgen könnte ein SPD-Sieg die Bonner Politik durcheinanderbringen. Bei einem Erfolg ihres Spitzenkandidaten Rudolf Scharping und der an der Fünf-Prozent-Hürde krepelnden Grünen würde die Mehrheit im Bundesrat...

Fällt Mainz, kippt Bonn Morgen könnte ein SPD-Sieg die Bonner Politik durcheinanderbringen. Bei einem Erfolg ihres Spitzenkandidaten Rudolf Scharping und der an der Fünf-Prozent-Hürde krepelnden Grünen würde die Mehrheit im Bundesrat endgültig gekippt.

Wenn Helmut Kohl am Wahlsonntag mit seinen CDU-Parteifreunden um die Regierungsmacht in Rheinland-Pfalz bibbert, dann nicht nur aus Heimatverbundenheit. Der Oggersheimer bangt vielmehr um der Folgen, die eine Niederlage der CDU für Bonn haben wird: Schafft die SPD den Machtwechsel in Mainz, dann erringt sie auch eine stabile Mehrheit im Bundesrat. Dann muß Kohl — ob er will oder nicht — seine Bundespolitik mit den Sozialdemokraten abstimmen.

Noch versucht der eher matt wirkende Wahlkämpfer, das rot-grüne Gespenst zu verscheuchen, doch seine Beschwörungen greifen nicht. Der Kanzler war schlecht beraten, den Rheinland-Pfälzern ein „zweites Wirtschaftswunder“ zu predigen, wo doch Winzer und Bauern, Arbeiter und Angestellte fürchten müssen, daß ihr Bundesland an die Peripherie der neuen, größeren Bundesrepublik rutscht, zum „Zonenrandgebiet“ von morgen wird. Während die CDU eher brüchigen Optimismus verbreitet, sterben Höfe, hinterlassen abziehende Nato-Truppen Angst um Arbeitsplätze, ist ein Riesenloch im Säckel der heimischen Wirtschaft. Wider besseres Wissen beteilgt sich an der Aktion „Optimismus“ Kohls alter Journalistenzirkel aus seiner Amtszeit als Mainzer Ministerpräsident. In den regionalen Medien verliert man kaum ein Wort über die Fehler der Landesregierung:

—Die Parteibuchwirtschaft, die nach 44jähriger CDU-Regentschaft dem Land schon den Spottnamen „Rheinland-Filz“ eintrug;

—das Intrigenspiel des CDU- Landeschefs Hans-Otto Wilhelm gegen den angesehenen Alt-Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und Wilhelms gescheiterte Parteireform gegen die Multifunktionäre im Mittelbau der Partei;

—die Inkompetenz des Mainzer Umweltministeriums, das sich seine „Reibungsverluste“ eigens in einem teuren Gutachten bestätigen ließ — und hernach den Guchtachter zum Umwelt-Staatssekretär beförderte;

—die ökologischen Brennpunkte, wie die Blei- und Silberhütte Braubach, die Sondermülldeponie Kaisersesch, die Urananlage Ellweiler sowie die C-Waffen-verdächtige Munitionsfabrik Hallschlag; stets regten sich in diesen Fällen die Mainzer Umweltministerialen erst dann, wenn der Druck derjenigen, die sich davon bedroht sahen, zu groß wurde;

—die Genehmigung des maroden Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich, das indes noch immer auf seinen „Sofortvollzug“ wartet. Obwohl das AKW nicht dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, erhielt der Betreiber RWE von der Landesregierung eine nachgebesserte Genehmigung, die nun vor Gericht überprüft wird.

All dies wird das Wahlergebnis beeinflussen. Und wer behauptet, die „Delle“ — wie die CDU ihr Wahltief beschönigt — stamme nur von Kohl & Co., der unterschätzt möglicherweise die Wählerschaft. Einer Umfrage des Infas-Instituts zufolge verzeichnet die SPD weiterhin einen Aufschwung: von 43 Prozent auf nunmehr 45 Prozent (Infas von letztem Wochenende). Die Grünen liegen in allen Umfragen bei etwa 5 Prozent. Sollten sie die Fünf-Prozent-Hürde wirklich nehmen, steht nach Hessen auch in Rheinland-Pfalz die Tür zu einer weiteren rot-grünen Landesregierung offen.

Die bisherige Regierungskoalition aus CDU und FDP erreicht dagegen Infas zufolge nur 47 Prozent der Wählerstimmen. Kennzeichnend ist nach den jüngsten Umfragen, daß nicht mehr nur die Christdemokraten mit geschätzten 41 Prozent (Landtagswahl 1987: 45,1Prozent) in der Wählergunst gesunken sind, sondern auch die Liberalen mit nur noch 6 Prozent (1987: 7,3Prozent).

Für Überraschungen könnte auch der neue, komplizierte aber bürgernahe Wahlmodus sorgen. Es gibt erstmals zwei Stimmen statt einer, ähnlich der Bundestagswahl. Die Erststimme gilt den DirektkandidatInnen in den 51 Wahlkreisen. Wer dort die meisten Stimmen auf sich vereint, zieht direkt in den Landtag ein — ganz egal, ob die entsprechende Partei den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft oder nicht!

So werden 51 Sitze besetzt. Weitere 50 Sitze werden über das Verhältniswahl-Ergebnis der Zweitstimme (Landesstimme) vergeben. Darüberhinaus sieht das neue Landeswahlgesetz Überhang- und Ausgleichsmandate vor. Erhält eine Partei durch die Erststimme mehr Sitze als ihr gemäß Zweitstimme zustünden, darf sie diese Sitze behalten (Überhangmandate). Schneidet eine Partei bei der Erststimme phänomenal gut ab, wird aber bei der Zweitstimme von der gleichgroßen Konkurrenzpartei bei weitem übertrumpft, so erhält diese Konkurrenzpartei zusätzliche Ausgleichsmandate. So kann die Zahl der Mandate morgen leicht auf 102 steigen und damit möglicherweise zum Patt führen.

Keine Rolle werden voraussichtlich die kleinen Parteien spielen, hier vor allem die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) sowie die rechtsradikalen Republikaner und die Deutsche Allianz (DA).

Im Wahlkampf um die 101 Landtagsmandate hat die Bonner Politik eine dominierende Rolle gespielt. Die vor allem Bundeskanzler Helmut Kohl — früher hier Ministerpräsident — zugeschriebene Steuererhöhung zur Finanzierung der Einheit beherrschte die Wahlveranstaltungen aller Parteien. Die SPD schlachtete das Thema unter dem Stichwort „Steuerlüge“ aus. Das CDU-Spitzenduo, Ministerpräsident Carl- Ludwig Wagner und Parteichef Hans-Otto Wilhelm, hält die „Steuererhöhungs-Delle“ aber mittlerweile fürgeglättet. Offen ist auch, wie die Wähler auf gleich zwei Spitzenkandidaten der CDU reagieren: Wagner als Erstlösung, dem nach zwei Jahren im Amt Wilhelm folgen soll. Joachim Weidemann

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