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Volksvertreter

In der Masse unserer 241 Volksvertreter im Schöneberger Rathaus gibt es nur wenige Glanzlichter zu entdecken. Dennoch wurde Marianne letzte Woche fündig — ausgerechnet bei den Freidemokraten. Da gibt es einen bebarteten Herren mit dicker Hornbrille, dessen Ost-Biographie sich wohltuend abhebt von den westlichen Stromlinienkarrieren. Werner Wiemann, seit Januar 1990 FDP-Mitglied, gibt als Beruf gern Unternehmer an. Der gelernte Koch und diplomierte Lebensmittelchemiker beglückte die DDR mit einer segensreichen Erfindung: Er fand heraus, wie man Ananas-Aroma synthetisch herstellt. Das allein füllte ihn nicht aus, und so begann er 1987 ein theologisches Studium, das er in der Umbruchszeit jedoch aufgab. Nach einem kurzen Ausflug zum DA gehört er heute zu den Freidemokraten. Nebenher betreibt Wiemann ein Einmannunternehmen und vertreibt auf den Märkten im Ostteil der Stadt erfolgreich Obst- und Honigweine. Einem Rauschmittel ganz anderer Art ist die AL— Fraktionschefin Renate Künast verfallen. Auf Empfängen trifft man sie verzückt vor sich hin murmelnd an. Nicht die Liebe ist's, sondern die hohe Literatur. Edmond Rostands Klassiker Cyrano de Bergerac, derzeit als Verfilmung in den Kinos, bringt die sonst eher pragmatische Politikerin ins Schwärmen über poetische Kußmünder und nichterfüllte Liebe. SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt mußte ganz plötzlich zu einem wichtigen Koalitionsgespräch mit der CDU enteilen, als ihn seine Ex-Koalitionspartnerin auf einem Empfang der Berliner Pressekonferenz mit Cyrano beglücken wollte. Ansonsten schäkern und flirten Staffelt und Künast immer noch heftig in der Öffentlichkeit. Der SPD-Politiker will sich figürlich dennoch wieder auf Vordermann bringen. Ab heute wird für zwei Monate wieder einmal strikte Diät eingehalten. Abgetaucht ist indessen sein Alter ego Walter Momper. Vom Ex-Regierenden ist nichts mehr zu hören und zu sehen. Dafür wird bald über ihn zu lesen sein. Sein ehemaliger Intimus und Sprachrohr Werner Kolhoff arbeitet fleißig an Mompers Biographie. Kenner der Branche vermuten, daß das Werk im Herbst zur Frankfurter Buchmesse vorliegen soll. Auch Mompers Zwilling aus besseren Tagen, Rosenzüchter Tino Schwierzina, trägt sich mit dem Gedanken an eine Verschriftlichung seiner Erlebnisse als Oberbürgermeister und Herr des Roten Rathauses. Während Momper es zu Amtszeiten immer eilig hatte, in den Backsteinklotz zu ziehen, drängt es seinen Nachfolger Eberhard Diepgen nicht sehr. Die Umbauarbeiten zögen sich in die Länge... Mit seinem ausgeprägten Sinn fürs Symbolträchtige hat der Regierende seinen Lieblingstermin für den Umzug verraten: Um den 3. Oktober herum, zum ersten Geburtstag der deutschen Einheit, soll es sein. Als Bonbon gönnt sich Ebi einen neuen Schreibtisch. Der alte von Ernst Reuter, an dem die Nachkriegsbürgermeister regierten, bleibt im Schöneberger Rathaus. Politologie- Professor Bernd Rabehl wäre schon froh, überhaupt wieder Platz für seinen (privaten) Schreibtisch zu haben. Gerade von einem mehrjährigen Brasilien-Aufenthalt zurückgekehrt, lernt der jüngst zum Akademischen Oberrat gekürte 68er die Berliner Wohnungssituation aus Betroffenensicht kennen. Derzeit ist Rabehl samt Frau und sechs Monate alter Tochter in einem 14-Quadratmeter-Zimmer einer Friedenauer WG untergekommen. In seine ehemalige Kreuzberger WG flüchtete Panorama-Redakteur Kuno Haberbusch nach der Verabschiedung des ARD-Korrespondenten Claus Richter. Einer der Gründe: Dem Ostberliner Dom-Hotel ging um 22 Uhr der Getränke-Nachschub aus. Richter arbeitet künftig übrigens für das ZDF in Singapur. Seine Lebensgefährtin Sabine Porn, die einige als Moderatorin des SFB-Morgenechos und viele als frühere taz-Redakteurin kennen, nimmt er mit nach Fernost. Marianne

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