: ZWEITAGENACHCOTTBUS
SPIELENDOCH ■ DIE GOLDENEN ZITRONEN
Mit 10 Jahren bilden Jungen Banden und lungern auf der Straße herum, mit 20 gründen sie Bands und bevölkern Probenräume, mit 30 beschließen sie die Jugend in einer vereinsmeiernden Altherrenfußballmannschaft, mit der sie nach dem Spiel bei einem gepflegten Bier des einstigen Bubseins gedenken. So werden sie wenigstens nicht enttäuscht vom Leben.
Bei den Goldenen Zitronen läuft das dagegen ganz und gar verquer. Kindergangs verschreiben sich dem HipHop, sie spielen Punkrock. Abiturabsolventen tauschen Weltschmerz am Computer mit Techno aus, sie spielen Punkrock. Und die älteren von uns lieben still und bescheiden ihre Helden, die spielten eigentlich auch Punkrock, trotzdem spielen die Goldenen Zitronen Punkrock, aber nicht so wie die Helden. Wen wollen die Zitronen also um sich scharen bei Konzerten und am Äther?
Die kreischenden Teeniemassen... Und wie machen sie das? — Mit Punkrock, und einer ordentlichen Portion deutscher Texte obendrauf. Darin verstehen sie sich: legendär bleibt ihre Hymne »Der Tag als Thomas Anders starb« nach wie vor, selbst in der Post-Nora-Phase. Da gibt es für kreischende Teeniemassen ganz viel zum Mitsingen. »Heil Bockwurst (Großer, dicker König)« oder »Wo bleibt mein Pferd« oder »Ein Käfig voller Jungs« haben sie passend zur Tour gerade auf LP nachgeschoben, alles nette Schlager mit kratzendem Gitarenmörderhintergrundsturzbachpogo.
Manchmal merkt man daran, wie sie als Rächer der Enterbten mit dem Volke fühlen, wenn sie Besetzer und Revoluzzer aller Länder zwischen den Zeilen grüßen. Im Osten mußten sie dafür sogar Kopf und Kragen riskieren. Als sie in Cottbus mit ihrem Reisebus eintrafen und nichtsahnend den veranstaltenden Club im Dunkel der Stadt suchten, sind sie am Wochenende mit einem 30-köpfigen Trupp Glatzen zusammengestoßen, die ihnen den Bus mit Baseballschlägern zertrümmerten, für Deutschland einig Vaterland. Der neosozialisierten Osten kann die Autoritätslücke noch nicht so ganz umsetzen. Denen machen wilde Teenies aus Hamburg Existenznöte. Mit Herrschaft dagegen haben die Zitronen schon vor Jahren gebrochen, da konnte kein Major-Label sie mit Verträgen unter ihre Obhut bekommen. Auf diese Weise haben sie die großen Brüder von den Toten Hosen überlebt. Die bleiben im Schauspielhaus von Bonn die Fürsprecher von Alex und als Kolumnenkönige bei der taz Garanten für jugendliche Frische. Die Zitronen stehen auf St.Pauli und zur Hafenstraße, getreu dem eigenen Motto »Für immer Punk«, ob mit 10, 20, 30 oder Rentenjahren.
Jeder gut abgehangene Erwachsene könnte dieses Credo mit Kindsköpfigkeit verlachen, vielleicht hört ihm ja einer zu beim Bier nach dem Feierabendgebolze. Ansonsten kann er auch ins Loft kommen, ein bißchen stagediven, das Haake- Beck-Geschwür mit wildem Rumgespringe abtrainieren und sein Greisentum an den Nagel hängen. Die Goldenen Zitronen werden ihm dabei behilflich sein, mit Punkrock versteht sich: nett, schräg, schrill, schnell und unvergänglich. Harald Fricke
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