: Ein Sonnenbär auf New-Age-Pfaden
■ Esoterischer Paukenschlag im Schloßpark von Sanssouci: Hintergrundbericht zum Festival »Die Kraft der Visionen«
Potsdam. Alle Jahre wieder gibt es eine Hochblüte des New Age. Diesmal ertönt der esoterische Paukenschlag im mauerlosen Berlin. Die Kraft der Visionen nennt sich das für 420 Mark konsumierbare, vom »Netzwerk der Kulturen e.V.« organisierte New-Age-Topfestival des Jahres 1991. [Wird Zeit, daß da auch mal einer mit der Peitsche durchläuft und die Händler aus dem Tempel vertreibt - d.säzzer] Konkret werden »Wege der ganzheitlichen Heilung« vom 17. bis 20. Mai im Schloßpark von Potsdam-Sanssouci vorgestellt.
Wie es bei derartigen Gipfeltreffen üblich ist, versammelt sich dabei die Crème de la crème des Wassermannzeitalters: so unter anderem der hoch im Kurs stehende »Meister des tanzenden Tai Chi«, Chungliang Al Huang, der »Zen-Meister« Richard Baker-Roshi, der in den Vereinigten Staaten wegen eines ganz und gar irdischen Lebenswandels aus seinem eigenen Zen-Kloster gejagt worden war, der Runensprüche klopfende deutsche Neoschamane »Bergmondwanderer«, der mit bürgerlichem Namen Helmut Christof gerufen wird, New-Age-Superprofitstar Chris Griscom, der Wiener New- Age-Großvater Arnold Keyserling, der durchaus moderne Steinzeitmensch, der in seinem eigenen »Erdheiligtum« als Oberpriester für archaische Rituale auftritt, und die sich mediengerecht über ihre Kontakte mir Ufos amüsierende Popsängerin Nina Hagen. Die Liste der erlauchten New-Age-Stars, die Berlin in andere Sphären workshoppen wollen, ließe sich fortsetzen.
Aufgang des Sonnenbärs
Esoterischer Chef dieser Spitzenveranstaltung des »neuen Bewußtseins« ist kein geringerer als Sun Bear — auf gut deutsch: Sonnenbär. Das Festival geht auf eine seiner zahlreichen Visionen zurück. Der Sonnenbär ist mit seinen Schriften über die angebliche »indianische Astrologie« ein Bestseller auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Der Sonnenbär, mystisch und erdgebräunt wie er auftritt — das ist Deutschlands Parade- Indianer Nummer 1. Er weiß ziemlich genau, in welches Horn er blasen muß, um unbefriedigte, durchaus legitime Bedürfnisse des Homo sapiens der Industriegesellschaft anzusprechen. Für sein Berliner Festival gab er das Motto aus: »Das Wissen des Medizinrades wird in unserer heutigen Zeit dringend benötigt. Wir glauben, daß ein Mehr an Menschlichkeit einhergehen muß mit einem umfassenden Verständnis unserer Umwelt. Gerade die Entfremdung des Menschen von seinem natürlichen Lebenszusammenhang ist die Ursache vieler Probleme. Wir fordern euch auf, eure Vorurteile beiseite zu legen und mit uns in eine magische Welt einzutauchen, in der alle Dinge mit euch verbunden sind. In der heutigen Zeit neigt man dazu, die Erde als bloße Kulisse für menschliches Tun und Treiben,und Mineralien, Pflanzen und Tiere als bloße Diener der Menschheit zu betrachten. Längst haben wir vergessen, daß sie auch Lehrer sein können; daß sie uns eine Welt von Gedanken und Gefühlen erschließen können, gegen die sich das menschliche Herz schon viel zu lange verschlossen hat.«
Daß wir Achtung vor der Natur haben sollten, ist zwar inzwischen ein alter Hut, aber kann nicht oft genug betont werden. Nicht einmal für seine »magische Einladung« ist der Sonnenbär zu tadeln — es muß ja keiner mitmachen, die »indianische Ökoreise« ist ja freiwillig. Allerdings trägt er zumindest einen Stein des Anstoßes in Berlin um den Hals: Er verwendet immer noch seine abgetragenen Werbeschuhe, läßt sich immer noch als »Chippewa-Medizinmann« für sein Festival und sonstige lukrative Auftritte vermarkten. Das ist schlicht unseriös. Zur Information: Im traditionellen indianischen Amerika, in dem Medizinleute heute selten geworden sind — sie arbeiten stets für ihren Stamm, sind überlastet, nie reich und haben keine Zeit, fast ständig auf Weltreise zu sein —, wird er oft als »Plastik-« oder »Instant-Medizinmann« bezeichnet.
Der Schweizer Journalist René Bardet hat sich auf die Fußspuren des geschäftstüchtigen Sonnenbären geheftet. Das Ergebnis seiner Recherchen: »Er behauptet, Chippewa zu sein, was vielleicht stimmt, aber auf dem Reservat wurde er in seiner Jugend nie gesehen. Er kann seine ‘Chippewa-Lehren‚ jedenfalls nicht aus der Chippewa-Gemeinschaft oder -Tradition geschöpft und erlernt haben; dort weiß keiner etwas von einer astrologischen Tradition. Chippewas, die ich persönlich kenne, sagen, seine Lehre — die sich betörend schön liest — sei ganz und gar aus den Fingern gesogen.«
Im Gegensatz zum esoterischen Chef des Berliner Festivals ist Art Solomon ein Chippewa-Medizinmann, der diesen Titel nach indianischer Auffassung zu Recht trägt. Seine Einschätzung des Handels mit Versatzstücken indianischer Spiritualität wird auf dem Berliner Tanz um das Goldene Kalb einer heilen Eso-Welt wohl kaum zur Sprache kommen: »Jene, die dadurch Geld verdienen, indem sie eingeborene, spirituelle Wege des Menschen in Europa lehren, verkaufen etwas, das nicht verkauft werden kann. Es ist so, als würde man die Flügel von einem gewaltig großen Flugzeug wegnehmen und dafür die Flügel eines kleinen Kampfflugzeuges daran befestigen. Es wird nicht funktionieren.«
Ungeachtet des heftigen Protestes, der aus dem traditionellen indianischen Amerika gegen das Treiben der »Plastikmedizinleute« erhoben wird, erfährt Die Kraft der Visionen eine geradezu exzessive Werbung. Wer irgendwo in einem der vielen New-Age-Computer gespeichert ist, erhält die Frohe Botschaft per Post — unter anderem auch gemeinsam mit der Werbung des Kösel-Verlages — ins Haus geliefert.
»Plastikmedizinmann«
Das New Age des Sonnenbären arbeitet auf vollen Touren. Auf einem dieser Werbezettel, die die Empfehlung des bekannten Sufimeisters Pir Vilayat Inayat Khan enthält, wird auch die international als »Großmutter des indianischen Widerstandes« bekannte Janet McCloud als Referentin für den Zirkus des Sonnenbären angekündigt. Die langjährige indianische Landrechtskämpferin, seit den 60er Jahren in zahlreichen Fraueninitiativen engagiert, als kritische Fußnote der Sonnebär-Vision? Sucht New Age plötzlich den Kontakt mit der sonst so als »negativ« abgelehnten politischen Realität? Kehren die Kinder der kosmischen Schwingungen zurück zu den profanen Gewölben der oft höchst unesoterischen Alltagswirklichkeit? Die »Großmutter des indianischen Widerstandes« dazu: »Ich habe niemals zugestimmt, daran teilzunehmen. Sie luden mich ein, und ich erbat nähere Informationen. Als klar wurde, daß das ein Sonnenbär-Ding ist, entschloß ich mich, nicht zu fahren. Ich habe ihnen nicht mehr geantwortet.« Wie schnell doch klingende Namen fälschlicherweise in die Druckmaschine geraten! Der Sonnenbär wird wieder einmal ohne indianischen Widerstand auskommen müssen.
Was ihm sicherlich nur recht ist. Mit der Politik dieser profanen und— wenn es um Menschenrechte geht— keineswegs lukrativen Angelegenheit will Sunny Bear schon lange nichts mehr zu tun haben. Was bedeutet schon der Völkermord an den indianischen Brüdern und Schwestern, wenn im reichen Deutschland glänzende weiße Augen dem Rauch der Friedenspfeife folgen und dabei Träume haben, wie sie vielleicht seit keltischen Zeiten nicht mehr erdacht worden sind? Dabei könnte ein Chippewa-Medizinmann so viel erzählen — ein echter würde es auch tun: Während in Berlin die Fans an einem Medizinrad basteln und sich nach der »Kraft der Visionen« sehnen, geht es auch heuer wieder den Chippewa in Wisconsin nicht gerade glänzend.
Gesetzlich haben sie ein unbestrittenes Vertragsrecht, in jenen Gebieten, die sie im 19. Jahrhundert an die USA abtraten, Naturalien zu ernten und zu fischen. Aus den Gewässern des nördlichen Seengebietes erbeuten sie vier Prozent des jährlichen Fischfangs. Den Rest besorgt die große Schar der weißen Sportfischer. Die zunehmende Umweltverschmutzung — die Fischgründe erweisen erschrecklich hohe Quecksilber- und PCB-Konzentrationen auf, für die 15 in Nordwisconsin ansässige Papierfabriken verantwortlich zeichnen — und ehrgeizige Staudammprojekte haben in den letzten Jahren den Fischbestand erheblich reduziert.
Nach Ansicht der weißen Interessenlobbies soll den Chippewa nun ihr verbürgtes Fischereirecht abgesprochen werden, das ihnen in Anbetracht der schwindenden Fischbestände von den weißen Zuwanderern nicht mehr vergönnt wird. Der Rassismus erlebt in Wisconsin zur Zeit eine tragische Hochblüte. Bei Demonstrationen werden indianische Puppen nach bester Voodoo-Art verbrannt und Parolen wie »Skalpiert sie!«, »Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer« oder »Erlege eine schwangere Squaw, rette zwei Fische!« gebrüllt. Flugblätter sind im Umlauf, die alle weißen Brüder auffordern, einen Indianer abzuschießen. Landesweit agierende rechtsradikale Gruppen wie PARR (Protect American's Rights und Resources) und STA (Stop Treaty Abuse), die sich neben unverfänglichen Namen auch ein ökologisches Mäntelchen umgehängt haben, oder die berüchtigte »Aryan Nation« gehen noch einen Schritt weiter: Auf indianische Speerfischer werden Steine geschleudert, Boote werden blockiert, gerammt und versenkt, selbst Gewehrschüsse sind keine Seltenheit. Die Polizei übt sich in dezenter Nichteinmischung.
Widerstand der Chippewa gegen Rassismus
Harte Zeiten für die Chippewa, während deren angeblicher »Medizinmann«, der Sonnenbär, New-Age- Freuden nach Berlin bringt. Bis jetzt hat er — ganz im Gegensatz zu seinen echten Berufskollegen — noch keine Schamanentrommel gerührt, um Hilfe für seine bedrohten Stammesbrüder zu erhalten. Die gibt es mittlerweile auch ohne ihn: Die von Weißen organisierte »Pro Treaty«-Bewegung bemüht sich um eine Überwindung rassistischer Vorurteile, um ökologische Einsichten und darum, bei den Nachfahren von Columbus und Co. ein Verständnis für traditionelle Chippewa-Kultur zu schaffen. Den Angriffen rechtsextremistischer Schlägertrupps soll mit gewaltfreiem Widerstand begegnet werden: Hunderte von nichtindianischen Freiwilligen bereiten sich darauf vor, die indianischen Speerfischer vor Übergriffen zu schützen.
Der Sonnenbär hat mit all dem nichts zu tun. New-Age-Medizinräder nehmen Völkermord und Rassismus — kurz: das vermeidbare Leiden auf diesem Planeten — nicht zur Kenntnis, obwohl doch — so die Lehre — alles mit allem verbunden ist. In Berlin wird der Sonnenbär (falls er nicht noch eine Vision bekommt, die ihn verändert) sein altes Programm anbieten: von der Erde als lebendigem Wesen, von einem »neuen« Bewußtsein, daß wir mit Tieren und Pflanzen eine Unio mystica bilden, »um die Heilung des einzelnen überhaupt zu ermöglichen«, wie es die Veranstalter verkünden. Während der postmoderne Weiße sich auf die käufliche Visionssuche begibt, um einen Hauch dessen zu verspüren, was vielleicht seinerzeit Sitting Bull beseelte, gehen die Indianerkriege — vom postmodernen Sonnenbären und Gefolgschaft unbemerkt — weiter. Roman Schweidlenka
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen