: »Ein gut entwickeltes Überlegenheitsgefühl«
■ Massoud Mari*, iranischer Flüchtling in einem brandenburgischen Heim, über Deutsche und deren Umgang mit »Asylanten«
»Friedhof« — die Bedeutung dieses Wortes ist mir erst vor kurzem so richtig klargeworden. Ich wohne mit 280 anderen Asylbewerbern in der Friedhofstraße in einem Ort in Brandenburg — gleich neben dem Friedhof. Es gibt da ein paar auffällige Ähnlichkeiten zwischen unserem Heim und einem Friedhof. Mit den Toten braucht man nicht mehr zu kommunizieren, weil sie nicht mehr reden können; mit den Asylsuchenden braucht man nicht zu reden, weil sie kein Deutsch können.
Wir haben natürlich Kontakt mit Deutschen. Samstag nacht zum Beispiel wollten sogar 40 von ihnen über unseren Zaun springen, um Hitlers Geburtstag zu feiern. Wir waren über 100 und auf diesen Besuch vorbereitet. Die Neonazis sind vor uns und der Polizei davongelaufen; einige haben sich auf Bäumen versteckt. Wir haben sie heruntergeholt und der Polizei übergeben. Sie haben angekündigt wiederzukommen— mit Verstärkung aus Frankfurt/ Oder. Uns rät das Wachpersonal, vorsichtig zu sein, wenn wir das Heim verlassen.
Wir haben natürlich auch Kontakt mit anderen Deutschen. Manche sind solidarisch mit uns, manche haben Mitleid, die meisten sind dazu da, unsere Fälle zu bearbeiten. Die Sozialarbeiter, die Leute von der Ausländerbehörde und die Heimmitarbeiter. Das sind sehr bürokratisch denkende Menschen mit einem gut entwickelten Überlegenheitsgefühl — zumindest uns gegenüber. Die meisten kennen sich weder mit den herrschenden Gesetzen und Vorschriften aus, noch haben sie je in einem anderen Land gelebt oder beherrschen eine andere Sprache. Man muß sich dann nicht darüber wundern, daß es zwischen 280 Flüchtlingen und der Ausländerbehörde Probleme gibt, wenn nur ein Übersetzer da ist.
Deutschkurse werden in unserem Heim nicht angeboten. Kulturelle Ereignisse oder öffentliche Diskussionen sind für uns geschlossene Veranstaltungen. Es gibt nicht einmal die Möglichkeit, irgend etwas über den Stand unseres Verfahrens zu erfahren. Wenn sich die Behörden um etwas gründlich kümmern, dann darum, uns von den Menschen und der Umwelt abzuschotten.
Manche von uns versuchen, sich nach West-Berlin durchzuschlagen. Die Bedingungen in den Heimen sind dort auch nicht rosig, aber es gibt ein paar wichtige Unterschiede. Die Straßen sind etwas sicherer, vor allem abends. Außerdem erhalten Asylsuchende in West-Berlin eine Identitätsbescheinigung. »Was für eine Lappalie«, werden Sie denken, »für einen, der in seiner Heimat politisch verfolgt worden und gerade mit dem Leben davongekommen ist.« Aber es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Sie dieses kleine Stück Papier, das Ihre Existenz beweist, bei sich tragen; oder ob Sie jederzeit aufgegriffen werden können, wenn Sie sich außerhalb des Heimgeländes bewegen. Sehr weit können wir uns ohnehin nicht bewegen mit den 80 Mark Taschengeld, die jeder von uns im Monat erhält. Taschengeld, weil wir nicht arbeiten — nicht, weil wir nicht wollten, sondern weil wir nicht dürfen. Wir sind aber nicht hierhergekommen, um um irgend etwas zu bitten. Wir haben auch niemanden gebeten, uns zu Bittstellern zu machen.
»Essen hält Leib und Seele zusammen«, sagen die Deutschen. Unser Essen heißt »Hofmann Menü« — das steht auf den Alupackungen, die wir jeden Tag bekommen. Die meisten werfen das Essen ungeöffnet in den Müll. Die vollen Mülltonnen werden dann gerne als Indiz unserer Undankbarkeit und unserer Ansprüche angeführt. Darüber ließe sich besser reden, wenn Sie das »Hofmann Menü« einmal zwei Wochen probiert hätten. Es geht nicht um Geschmacksfragen, es geht auch nicht nur um unsere Ernährung. Es geht darum, daß auch Essen etwas mit Würde zu tun hat. Wir haben der Heimleitung hundertmal gesagt, daß dieses Essen inakzeptabel ist. Wir haben vorgeschlagen, uns statt dessen die Summe auszuhändigen, die jeden Monat für das »Hofmann Menü« ausgegeben wird. Dann könnten wir selbst kochen, könnten selbst einkaufen gehen, könnten selbst mit den Deutschen in Kontakt kommen. Aber die Heimleitung hat diese Vorschläge hundertmal überhört. Jetzt schmeißen die Leute ihr Essen eben in die Mülltonne. Das hat nichts mit Undankbarkeit zu tun — das ist eines der wenigen Protestmittel, die wir haben.
Das Problem ist: Sobald wir protestieren, sobald wir uns wehren und nicht mehr die hilflosen, passiven »Asylanten« sind, reagieren auch die Deutschen aggressiv, die sonst Mitleid mit uns haben. »Jetzt reicht's«, heißt es dann, »ihr lebt besser als wir, habt ein Dach über dem Kopf und kriegt dazu noch achtzig Mark im Monat.« Dann gibt es andere, die glauben, wir sind hierhergekommen, weil man hier so gut leben kann. Ich würde diese Deutschen gerne einmal einladen. Sie sollen mal zwei Monate exklusiv erleben, wie vergnüglich das Leben hier ist, mit der Ungewißheit und dem Lagerkoller, mit achtzig Mark im Monat und »Hofmanns Menü« jeden Tag. Massoud Mari
[*Name v. d. Red. geändert]
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