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„Überhaupt: das Menschenbild.“

■ Zensur in der DDR: Ausstellung & Buch

Ein Bosseln an den einzelnen Stücken hat u. E. keinen Zweck. Vielmehr müßten Sie prüfen, was Sie den Lesern geben wollen — Lebenshilfe oder bloß Unbehagen am Leben.“

Zensur hat auch ihre rührenden Seiten. So wie der Cheflektor des Greifenverlages sich um die seelische Mittellage der Prosaistin Katja Lange (heute Lange-Müller) und ihrer LeserInnen bemühte, so kam auch der Lyriker Richard Pietraß in den Genuß beorgter Diagnosen: „Warum also nur Pessimismus und Fatalismus. Überhaupt: das Menschenbild. Der Mensch dieser Gedichte ist ausgeliefert, entfremdet, nicht sozial aktiv, kein Mensch mit sozialistischen (oder gar kommunistischen) Positionen.“ Und was sagte Klaus Höpcke dazu? „Das finde ich auch.“

Daß Zensur nicht Randerscheinung, Begrenzung, Lücke der Literatur ist, sondern, wo sie existiert, zu den Bedingungen ihrer Existenz und Entstehung gehört, zeigt eine Ausstellung im Literaturhaus Westberlin, zu der ein instruktiver Katalog erschienen ist. Das mechanistische Bild der Zensur — der Balken über dem Wort — gibt ja nur ihrer außerlichsten, angreifbarsten, hilflosesten und lächerlichsten Seite Ausdruck — also jener, in der sie als solche erkannt, kritisiert, selbst öffentlich wird. Wesentlich für Zensur ist aber ihre Eigenschaft als Produktionsbedingung; nicht nur subjektiv als ‘die Schere im Kopf', sondern ebenso objektiv. Zensur ist eine Maßnahme im System Literatur, der alles andere zugehört: Förderung, Reiseerlaubnis, Leseerlaubnis, Stipendium, Auflage, Erscheinungsort- und datum, Drucklegungsgenehmigung und schließlich das rechte Beiwort, die „schöngeistige Lesehilfe“.

Der Ausstellungsleiter und Herausgeber Herbert Wiesner hat mit Hilfe zensierter Autoren Dokumente und Kommentare zur Realität der Zensur in der DDR in all ihren Facetten zusammengestellt. Überraschende Einzelheiten finden sich ebenso wie zu erwartende Aufarbeitungen; so ist die langwierige Geschichte von Volker Brauns ‘Hinze- Kunze-Roman' breit dokumentiert. Am Beispiel dieses Manuskripts wird deutlich, wie viele Stellen mit- wie gegeneinander arbeiteten, hatte ein Autor (wie Braun) einmal soviel internationales, vor allem westdeutsches Interesse erregt, daß die innenpolitischen Befürchtungen gegen die außenpolitischen Risiken abgewogen werden mußten. So wurden bereits in einer frühen Phase seitens des Mitteldeutschen Verlages die Germanistikprofessoren Kaufmann und Schlenstedt (letzterer schrieb schließlich bei Erscheinen auch ein interpretationslenkendes Nachwort) in die Arbeit am Manuskript einbezogen, was allerdings die Zensurbehörde HV (Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel) nicht hinderte, einen weiteren Gutachter zu bestellen. Professor Neubert äußerste sich ablehnend und ging gern in die Einzelheiten: „8.) Die Sex-Szene mit der Afrikanerin erscheint mir widerwärtig... Sie beleidigt meiner Auffassung nach auch nach ‘außen', d.h. international... 9.) Die Verrückten- Rede Kunzes! 10.) Sinnlichkeit und Pornographie sind zwei unterschiedene Qualitäten (ethisch und ästhetisch). Von Prüderie weit entfernt, bin ich einigermaßen bestürzt über diese Art der Darstellung, die bereits den Elementar-Humanismus in Frage stellt. Man komme mir hier nicht etwa mit Rabelais usw. Das sind ganz andere Kontexte in literarischer und philosophisch-aufklärerischer Hinsicht...“ Und schließlich das letzte Credo: „Die Frage ist immer die nach dem Gewinn für das Ideell-Ganze im Sinne einer sozialistischen oder wenigstens progressiven Auffassung.“

Vier Jahre nach Eingang des Manuskripts beim Mitteldeutschen Verlag schließlich, nach einer Literatour durch Streichungen, Umschreibungen, Gutachten, führt diese Stellungnahme zu einer Ablehnung, mildernd von Klaus Höpcke formuliert als die „Notwendigkeit doch weiterer Arbeit“. Der Verlag schreibt daraufhin an die HV, daß er dennoch die Druckgenehmigung beantragt habe: „Der jahrelange Kampf um Veränderungen an dem Manuskript hat den Autor stark mitgenommen. Während der Zusammenarbeit an dem Manuskript gab es bei Braun zeitweilig auch Phasen der Verzweiflung und — damit zusammenhängend — eines gewissen unberechenbaren Verhaltens. Mit großer Mühe haben wir immer wieder das Vertrauensverhältnis zwischen Autor und Verlag erhalten. Es ist jetzt nötig, dem Autor zu zeigen, daß wir ihn fest zu uns zählen.“ Sechs Wochen nach Erscheinen wurde die Auslieferung des Titels gestoppt.

Das System Zensur als Existenzbedigung der DDR-Literatur ist in seinen menschlichen Seiten wohl von niemandem besser beschrieben worden als von dem US-Historiker Robert Darnton, der im Sommer 1990 die HV besuchte und mit den Zensoren sprach. Sein Essay (erschienen in Lettre International Nr. 10, nachgedruckt in seinem soeben bei Hanser vorgelegten Essay-Band) zeigt, daß die Zensoren selbst sich als Förderer der Literatur verstanden, als behutsame Vermittler zwischen den Empfindlichkeiten der Mächtigen und denen der Literaten, als Schutzbeauftrage für die Wahrheit, die es mit List zu verbreiten gelte. Und auch die Literaten haben, aus einem in Westdeutschland nie begriffenen Einverständnis mit ihrer Gesellschaft folgend, ihr Bestes gegeben, die Grenzen zu lockern oder zu unterlaufen und mit denen zu paktieren, die sie als Agenten der Liberalisierung verstanden und verstehen wollten.

Nichts zeigt die erhabene Lächerlichkeit der Debatte um die „Staatsdichterin“ Christa Wolf deutlicher als ihre eigene Darstellung des Gezerres um ihren Roman ‘Nachdenken über Christa T.', für dessen positive Begutachtung zwei Literaturdozentinnen gemaßregelt wurden („Die eine wurde für einige Jahre zur Kulturarbeit an das Kulturhaus Bitterfeld geschickt, die andere verließ die Universität...“), der lediglich in zwei Zeitschriften rezensiert werden durfte und dessen Nachauflagen restrikt gehandhabt wurden. „Die Belegstücke“, schrieb Christa Wolf zur Ausstellung 1991, „verdecken womöglich den Vorgang, der in dem Wort ‘Zensur' steckt. Zensur ist ein kompliziertes, konfliktreiches Handeln zwischen Personen, nicht nur der anonyme Eingriff einer staatlichen Institution in Publikationsmöglichkeiten. Um den interessierten Besucher...wirklich zu informieren und ihn nicht nur mit spektakulären Einzeldaten zu füttern, müßte man von Fall zu Fall erzählen...“

Der Katalog zur Ausstellung steckt voller Erzählungen, die auf ihre Vervollständigung warten. Neben dem schönen Umstand, daß mittels der Zensurbehörde auch die Tradition des Akrostychons in der deutschen Literatur wiederbelebt wurde (Uwe Kolbes Gedicht ‘Kern meines Romans' wurde, zu spät entschlüsselt, erst nach Druck und Auslieferung verboten), macht vielleicht das dokumentierte lyrische Grußwort des armen B.B. am meisten literarisches Vergnügen — zunächst abgelehnt nicht etwa wegen des Reimes von „Dynamohallen“ auf „auch gefallen“, sondern weil man „Ernst Busch nicht über das bekannte Maß hinaus popularisieren“ wollte (so Erich Honecker). Als selbiges korrigiert war, wurde auch das Gedicht gedruckt. Da hat Bertold Brecht doch Pech gehabt.Elke Schmitter

Herbert Wiesner (Hrsg.): Zensur in der DDR. Geschichte, Praxis und „Ästhetik“ der Behinderung von Literatur

Ausstellung im Literaturhaus West-Berlin (Fasanenstraße) bis 1. Mai, im Literaturhaus Frankfurt am Main vom 15.5. bis 29.6.1991.

Katalog mit Abdruck aller Exponate und Abbildungen (im Buchhandel über den Verlag Brinkmann & Bose zu beziehen) 200 Seiten, DM 30.

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