: AutoSex&Nachwuchsfabrikation
Wie die Feministinnen sich ihre Macht selber abtrieben ■ Von Christel Dormagen
Man könnte zum Beispiel so anfangen: „Wenn es dein Plan war, Zeus, daß Menschenart sich mehrt, ganz ohne Frauen sollte dies geschehen. In deinen Tempeln müßte man um Geld der Kinder Samen kaufen.“ Das ist ein Satz aus dem neuen Buch von Gerburg Treusch-Dieter und damit ein Zitat. Es ist nun aber, wie man sofort merkt, auch dort zitiert, also offenbar ein Zitat zweiter Ordnung. Nur verhält sich die Sache schon hier um einiges komplizierter. Denn jener verwegene Satz ist noch weiter maskiert. Es handelt sich ursprünglich um den verkürzten Auszug eines Dialogparts, den Euripides (5.Jahr. a.C.) in seiner Tragödie Hippolytos jenen Titelhelden sprechen läßt. Und das selbstverständlich auch nicht auf deutsch.
Umwegig verschachtelt und unerwartet ist auch die Art der Verknüpfung von Theorie, Politik und Fakten, wie sie unter dem Buchtitel Von der sexuellen Rebellion zur Gen- und Reproduktionstechnologie vorgestellt wird. Es handelt sich um eine Sammlung von thematisch ineinandergreifenden Aufsätzen, mit der sich die Soziologin und Philosophin an der Freien Universität Berlin habilitierte. Die Aufsätze in ihrer Gesamtheit spannen einen Reflexionsbogen vom siebten vorchristlichen Jahrhundert bis in die allerjüngste Jetztzeit der soeben vollendeten deutschen Einstaatlichkeit. Und das geheime Zentrum, den Kristallisationspunkt von Treusch-Dieters Überlegungen bildet eben der erstaunliche Zitatsatz. Jene antike Männervision vom Samenkauf und der Kinderherstellung ohne Frauen ist inzwischen, so die Autorin, kurz davor, Wirklichkeit zu werden. Und ihre Kernthese lautet zugespitzt: es sind die emanzipierten Frauen, die diese Selbstenteignung betrieben, indem sie ihre sexuelle Selbstbestimmung als Befreiung mißverstanden.
Das ist in der Tat schärfster Tobak, vorgedacht von einer entschieden parteilichen Denkerin, die sicher nichts gegen das Etikett Feministin einzuwenden hätte, auch wenn es in diesen postrebellischen Zeiten längst nicht mehr als weibliche Zierde gelten mag.
Ausdrücklich in Anlehnung an Foucault und seine textanalytischen Überlegungen zur Verlagerung der Macht und zur Geburt der Sexualität entwickelt Treusch-Dieter eine andere Lesart feministischer Fortschrittsstrategien, die zu dem niederschmetternden Ergebnis für die Frauen führt, daß wir uns in unsere eigene Falle manövriert haben.
Ich werde mich nun allerdings hüten vor dem Versuch, Treusch-Dieters ohnehin schon sehr zusammengedrängte Darlegungen hier gleichermaßen verständlich wie komplett nachzuexerzieren. Zumal die Lektüre dadurch kompliziert wird, daß die Autorin über eine Gesamttheorie als Grundidee verfügt, die im jeweiligen Teilaufsatz immer schon vorausgesetzt ist; und das verführt gelegentlich zu floskelhaften Verkürzungen. Ich werde daher lieber den für mich interessantesten Denkstrang herauspräparieren und fortdenken, der geradewegs mitten in den alleraktuellsten politischen Hickhack um die derzeitige Regierungsbildung führt. Ich meine die Abtreibungsgesetzgebung, die gemeinhin als Indikator für den Stand der Macht bzw. Ohnmacht der zeitgenössischen Frauenbewegung gilt.
Doch ach, es ist, folgt man dem Buch, alles vergebliche Liebesmüh! Da rennen die Häsinnen im Hase- und-Igel-Spiel buchstäblich um ihr Leben, halten sich für die Vorhut der Emanzipation und verschwenden doch nur ihre Kräfte in einem anachronistischen Nachhutgerangel; denn die Igel sind immer schon am Ziel; vergnügt, daß die Häsinnen ihnen so hübsch die Wege geebnet haben.
Worum geht es? Kurz gesagt darum: es gibt demnächst keinen vernünftigen Grund mehr dafür, daß Männer und Frauen miteinander vögeln. Wohlgemerkt; keinen vernünftigen! Doch nun ordentlich ganz von vorn. Aristoteles war es, der im vierten Jahrhundert die Geschlechterdifferenz, d.h. die Notwendigkeit von Männern und Frauen, aus dem Zeugungsvorgang abgeleitet hatte: Der Mann ist der Geist, die bewegende Form, die Frau die Materie, der Stoff, der bewegt werden muß.
Nun schien im neueren Geschlechterkampf nichts plausibler für die Frauen, als sich aus der aristotelischen Fessel, jener hierarchischen Definition als geistlose Brutmasse, zu befreien. Nur daß schließlich die Wissenschaft alias der Fortschritt alias der Mann alias die Macht nicht nur allzu gerne den Frauen bei diesem Entledigungsakt zusah, sondern die Sache auch noch beschleunigen und sie ganz in die eigenen Hände nehmen sollte.
Dazu mußte im 19. Jahrhundert zuallererst die Sexualität erfunden werden als das eigentlich Innerste, das angeblich Unterdrückte, das, um sich zu befreien, sich bekennend offenbaren muß. Der Sex als geheimer Identitätsstifter war geboren und mit ihm die sprechende Wissenschaft der Sexualität. Dieser unterdrückte Sex durfte dann die Befreiungstheorie der 68er Bewegung organisieren und schließlich, in einer weiteren Kehre, die der neuen Frauenbewegung: Frauen waren nicht mehr Wesen, die Kinder, sondern Wesen, die einen Orgasmus kriegen sollen. Egal ob mittels Mann, mittels Frau oder mittels eigenen Handanlegens. Und schon hatte der Befreiungsdiskurs der „sexuellen Rebellion“ seine neuen Normen produziert. Von der Repression des Sex über das Recht auf ihn bis zur Pflicht ist es, wie wir Befreit-Geschädigten zur Genüge wissen, ein kurzer Weg.
Die Fortpflanzung schrumpfte zu einem technischen Anhängsel, das, ebenso wie das Recht auf Sex, selbstbestimmt und frei gehandhabt werden konnte. Abtreibung und Verhütung stellten die nötigen technischen Mittel bereit. Und es war nur konsequent, daß zur Subjektwerdung der Frau als sexuelles Wesen unbedingt die Aufhebung des §218 gehörte. Die wechselvolle Geschichte des Paragraphen und seine Verknüpfung mit der Frauenbewegung ist bekannt. Gerade in diesen Tagen nun haben die Parteien der neuen Ost- und der alten Westländer noch einmal an ihm herumgezerrt. Es geht darum, ob die „progressive“ Fristenlösung oder die „restriktive“ Indikationslösung für das wiederaufgetaute Gesamtdeutschland gelten soll. Die Entscheidung wurde aus parteistrategischen Gründen vertagt. Dabei ist, folgt man Treusch- Dieters Argumentation, längst alles entschieden.
Indem die Feministinnen mit Entschiedenheit den Geschlechterumgang aufgesplittet haben in Haupt- und Nebensache: in lästiges Gebären und lustigen Sex, schufen sie die ideologische Bedingung der Möglichkeit für ihre grundsätzliche Enteignung vom körperlichen Zeugungsakt. Denn längst hat die Wissenschaft ihrerseits diesen für potentiell obsolet erklärt und ihn aus den Händen der unzulänglichen Natur in die der zugänglichen Technologie gelegt: Kindersamen läßt sich kaufen, ganz im Sinne von Euripides; und demnächst sind Kinder womöglich frauenfrei herstellbar.
Das heißt in einem ebenso schiefen wie passenden Bild: mit der sexuellen Befreiung haben die Frauen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Um Abtreibungsrecht geht es längst nicht mehr, denn das Gebären selbst soll den Frauen abgetrieben werden. Und das ausstehende neue Abtreibungsgesetz, dessen selbstredend repressive Grundidee immer der größtmögliche Schutz der Gebärpflicht ist, wird — hinter dem Rücken seiner Verfechter oder auch nicht — demnächst in sein Gegenteil umschlagen.
Der Interessenskonflikt wird sich, in der nahen Zukunft einer Welt ausnahmslos „zweiter Natur“, womöglich um 180 Grad verschieben, zu folgendem Gegensatzpaar: hier das selbstbestimmte weibliche Subjekt, das sich ein herkömmlich natürlich gezeugtes und entstandenes Kind wünscht, dort die Macht alias der Staat alias die Wissenschaft, die in allumfassender Vor-Sorge leider genau das verbieten und die Mutter zur Abtreibung eines unzulänglichen Embryos zwingen muß. Oder vielmehr, die Mutter wird das selber wollen; wenn ihr mit den Mitteln der fortgeschrittenen Gentechnologie ein defektes Produkt in Aussicht gestellt wird. Die Auslegung des möglichen Defekts oder anders: die Definitionsmacht über Lebenstauglichkeit wird dabei gänzlich Sache der Wissenschaft sein, die sich im Besitz einer absoluten Trumpfkarte weiß: der Gesundheit. Die gesellschaftliche Gesundheitspflicht aber ist nicht nur die allerneueste, sondern, wie ich vermute, auch eine der letzten gesellschaftlichen Utopien.
Gen- und Fortpflanzungstechnologie legitimieren sich denn auch beide als Heilerinnen; sie wollen traurige Unfruchtbarkeit beseitigen respektive schreckliche Krankheiten verhindern; die eine, indem sie total in den Körper eindringt, die andere, indem sie ihn total umgeht.
Über den von Rita Süssmuth angekündigten sanften „dritten Weg“ von „pränataler Diagnostik“ und „Beratungspflicht“ wird die Entscheidungsmacht scheinbar in die Subjekte zurückverlegt: ich selber darf mir ein bestmögliches Kind schaffen. Was für fatale Konsequenzen diese barbarische Willensfreiheit haben wird, ist schon jetzt an der heftigen Auseinandersetzung über die schleichende Mutierung der medizinischen in eine eugenische Indikation abzulesen. Das Selbstbestimmungsrecht des Subjekts entpuppt sich als Danaergeschenk: meine Entscheidung wird zu einer Art technischer Qualitätskontrolle, die ich nur mit Hilfe der medizinischen Wissenschaft operationalisieren kann. Nur sie weiß, was noch Mensch ist oder schon Ausschuß.
Vorstellbar ist die Situation, daß eine schwangere Frau gar nicht so sehr dem strafenden Staat nachweisen muß, ob das zukünftige Leben gut für sie ist, sondern daß sie selber wissen soll, ob es auch taugt, und darüber hinaus, ob sie sich als Gefäß wirklich eignet. Diese doppelte Beweispflicht der Lebenstauglichkeit wird tendenziell negativ für die konventionelle Art des Kindermachens ausfallen, schon weil jener ethische Druck gar nicht auszuhalten ist. Das technisch gesundeste Kind ist immer das errechnete; die technisch gesundeste Mutter ist immer die Kunstmutter.
Und der technisch gesundeste Sex? Das wird der sein, der in diesem immer noch naturdurchseuchten Zeitalter keine/n andere/n mehr in Mitleidenschaft zieht (der schöne Doppelsinn des Wortes fällt mir erst beim Hinschreiben auf): der Auto- Sex. Die Selbstwerdung der Männer und vor allem der Bewegungsfrauen, die sich über den fortpflanzungsbefreiten Sexualitätsdiskurs als autonome, autarke Subjekte definierten, landet buchstäblich beim Selbst, das sich befriedigt.
Was dies alles für die Lebensaussichten, die privaten wie die gesellschaftlichen, von Frauen und Männern heißt, weiß ich nicht. Und auch Treusch-Dieters Überlegungen machen hier halt. Zumindest wird das Geschlechterverhältnis sich so weit verändern, daß es als jener schön- schreckliche Komplementärgegensatz in dem Maße überflüssig wird, wie die Menschenproduktion aus den Körpern ausgelagert ist. In jedem Falle können wir uns als AnrainerInnen einer Epochenschwelle in ein, so scheint mir, unausdenkbares neues Zeitalter hinein betrachten.
Und das allseits grassierende Kinderkriegfieber ebenso wie jenes umstrittene „Müttermanifest“ und selbst das wütende Lebensschützergeschäft erscheinen, so besehen, nur wie eine letzte reflexartige Zuckung einer alten Epoche, eben gerade zu dem Zeitpunkt, da alles längst verloren ist.
Vielleicht aber ist dieser zivilisatorische Qualitätssprung sogar eine Chance für — unvernünftige! Weiblichkeit. Daß das Glück sich nicht endgültig hochrechnen läßt, wie z.B. Shulamith Firestone mit ihrer unschuldig-radikalen Phantasie von der Gebärbefreiung noch glaubte — das zumindest hat das Buch von Treusch-Dieter mir deutlich gemacht. Am besten sollten wir glücklosen Häsinnen die Verabredung zum ewigen Wettlauf einfach aufkündigen. Da doch das Glück sich immer noch vorzugsweise dort zu verbergen pflegt, wo man es absolut nicht vermutet. Auch wenn ich das, u.a. nach dem Lesen des Buches, gewiß nicht mehr als List der Vernunft bezeichnen würde.
Gerburg Treusch-Dieter:
Von der sexuellen Rebellion zur Gen- und Reproduktionstechnologie ,
Konkursbuchverlag, 256 S.,
24,80 DM
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