: „Nicht mehr finanzierbare Ausmaße“
■ In China gehen die Angaben über Subventionen des Staates an seine Betriebe weit auseinander/ Ihr Anteil am Produktionswert ist auf unter ein Drittel gesunken/ Aus Furcht vor sozialen Unruhen wird das Konkursgesetz von 1988 kaum angewandt
Peking (dpa) — Chinas unbestreitbare Erfolge bei den wirtschaftlichen Reformen mit zweistelligen Wachstumsraten in der Industrie und gefüllten Regalen haben über tiefgreifende Fehlentwicklungen und Schwachstellen hinweggetäuscht. Auch die hohen Produktionszahlen können ein zentrales Strukturproblem nicht mehr kaschieren: Die niedrige Rentabilität der großen Staatsbetriebe und ihre immensen Verluste sind zum erdrückenden Ballast für das Budget und zu einem Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung geworden.
In ungewohnt eindringlichen Worten stellte Finanzminister Wang Bingqian in seinem diesjährigen Haushaltsbericht vor dem Volkskongreß fest, daß sich die Gewinne dieser Betriebe und die an den Fiskus abgeführten Gewinnanteile ständig verringert hätten und die Verluste stetig angestiegen seien. Die direkten Subventionen für unrentable Betriebe — rund 20 Prozent des Staatshaushalts — hätten bereits „nicht mehr finanzierbare Ausmaße“ angenommen.
Etwa ein Drittel der rund 12.000 größeren Staatsbetriebe schrieb nach amtlichen Angaben 1990 rote Zahlen. Das waren fast doppelt so viele Betriebe wie im Jahr davor. Die Verluste beliefen sich mit insgesamt knapp 30 Milliarden Yuan (fast zehn Milliarden DM) im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls auf rund den doppelten Wert. Andere Zahlen chinesischer Ökonomen weisen ein noch weit dramatischeres Szenario mit deutlich höheren Negativdaten auf — bis hin zu der Schätzung, daß nur etwa jeder zehnte Staatsbetrieb wirklich rentabel wirtschafte und der Staat tatsächlich bei einer jährlichen Geldspritze von rund 100 Milliarden Yuan angelangt sei, um die Unternehmen zu erhalten.
Vom industriellen Produktionswert stellten sämtliche Staatsbetriebe 1990 nur noch einen Anteil von 29,5 Prozent, während der große Rest von den kollektiven Unternehmen, den ländlichen Industriebetrieben, den Privatbetrieben und den Joint-ventures erwirtschaftet wurde, die eine weit höhere Rentabilität und dynamischeres Wachstum aufweisen. Doch die Staatsbetriebe gelten als „Hauptpfeiler“ und „Rückgrat“ bei der „Modernisierung“. Ihr Erhalt und ihre Gesundung werden letzlich deshalb angestrebt, weil sie als Staatseigentum das „sozialistische System“ bewahren und die Verfügungsgewalt der kommunistischen Führung über den Wirtschaftskreislauf sichern.
„Anpassungspolitik“ blieb stecken
Die Belebung der großen Staatsbetriebe ist von der Regierung jetzt in den Mittelpunkt der wieder verstärkt angepeilten Strukturreformen gerückt worden. Seit Jahren sind die Schwierigkeiten eingekreist, doch Gegenmaßnahmen blieben Stückwerk oder verfingen sich im System. Auch die seit mehr als zwei Jahren verfolgte „Anpassungspolitik“ hat nicht zu besseren Ergebnissen oder einem Gesundschrumpfen geführt. Im Gegenteil: Die Lage ist in den letzten Monaten noch kritischer geworden. Effizienz und Leistungskraft der Staatsbetriebe haben sich weiter verschlechtert. Die expansive Politik mit hohen Produktionszahlen und hohem Material- und Energieverbrauch ging zu Lasten der Qualität und der technischen Innovationen. Produkte minderer Qualität stapeln sich in Lagerhallen. Maschinen sind technisch veraltet, die Arbeitsproduktivität ist gering. Produktsortimente werden viel zu langsam oder überhaupt nicht einer veränderten Nachfrage angepaßt.
Nun sollen sich die Betriebe selbst aus dem Sumpf ziehen. Das Hauptproblem liegt jedoch im ordnungspolitischen Rahmen. Der Direktor des Pekinger Eisen- und Stahlwerks, Zhou Guanwu, sieht dieses Hindernis flächendeckend: „Die Staatsunternehmen werden sich unter keinen Umständen ohne eine Reform des zentralisierten Wirtschaftssystems beleben lassen.“ Reformökonomen wie Liu Guogang führen die Probleme nach einer Phase verordneten Schweigens jetzt wieder in erster Linie auf nur halbherzig und unvollständige Reformschritte zurück. Sie drängen zu entschiedenen Reformen mit einem Abbau administrativer Kontrollen, der Einführung von mehr Marktelementen und Lockerung der staatlichen Preisfestsetzungen mit freierem Wettbewerb, bei dem die besseren Unternehmen überleben würden.
An die breite Anwendung des 1988 erlassenen Konkursgesetzes hat sich der Staat aus Furcht vor Arbeitslosigkeit und sozialen Unruhen noch nicht herangewagt. Solange es kein begleitendes außerbetriebliches soziales Sicherheitsnetz gibt, dürfte sich an der „eisernen Reisschüssel“ nicht viel ändern.
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