Fette Beute für Syriens Baath-Partei

Viele Syrer fürchten, daß Präsident Hafiz al-Assad die wirtschaftliche Öffnung mit Gewalt durchsetzen wird  ■ Aus Damaskus Klaus Kurzweil

Eine ganze Seite widmete kürzlich die syrische Regierungszeitung 'Ath-Thaura‘ — Die Revolution — einem Alltagsthema: dem Import von dehydriertem Fett, das aus keiner syrischen Küche wegzudenken ist. Unter der Überschrift „Importiertes Fett — Betrug, Fälschung und Wucher“ greift das sonst stramm auf Regierungskurs liegende Blatt die syrischen Zollbehörden und das Ministerium für Versorgung an. Mit ihren laschen Genehmigungspraktiken für das Importfett gefährdeten diese Behörden die Gesundheit der syrischen Bürger. Denn entgegen syrischen Gesetzen würde die Einfuhr von Produkten genehmigt, auf deren Verpackungen keinerlei Hinweise auf den Herstellungsort und die Bestandteile des Fetts zu finden seien. In den letzten Wochen sei so angebliches Rinderfett auf den syrischen Markt gekommen, das sich als Mischung aus Rinder- und Schweinefett und Chemikalien entpuppte und schließlich zu Seife verarbeitet wurde, enthüllte das Blatt.

Doch das importierte Fett ist nur eine Blüte der neuen syrischen Importpolitik, die zeitgleich mit dem Einschwenken der syrischen Regierung auf den Pro-USA-Kurs im Golfkrieg einsetzte. Syrer beobachteten in den letzten Monaten mit Erstaunen den Zuwachs von Westprodukten in den Geschäften. Neben dem syrischen Arrak stehen neuerdings etliche Sorten britischen Markenwhiskys in den Regalen. Computer, Farbfernseher und elektronische Kinderorgeln, die bisher nur auf Schmuggelwegen aus dem Libanon zu bekommen waren, stehen jetzt völlig legal in den Schaufenstern.

„Jetzt gibt es alles in Damaskus, sogar Medikamente!“ freut sich ein syrischer Arzt über die wirtschaftliche Liberalisierung. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung muß sich allerdings darauf beschränken, die „Infitah“ — die „Öffnung“ — durch Schaufensterscheiben zu bestaunen. Der westliche Luxus ist zwar in Syrien nicht teurer als in Europa, aber bei einem Durchschnittseinkommen von rund 200 D-Mark pro Monat ist er für die meisten dennoch unbezahlbar. Und die jüngsten Geldgeschenke an die Assad-Regierung aus Saudi-Arabien, den USA und Europa haben nichts an den niedrigen Löhnen geändert.

„Für jeden Computerladen verschwindet ein Falafel-Stand“, kritisiert so ein Student die neue Wirtschaftspolitik. Importieren darf trotz Öffnung nur, wer gute Beziehungen zur regierenden „sozialistischen arabischen Baath-Partei“ hat; und leisten kann sich die Importprodukte auch nur, wer genügend Geld — also ebenfalls gute Beziehungen — hat.

„Infitah“ ist der Versuch der syrischen Regierung, die marode Wirtschaft zu sanieren. Während des kalten Krieges wurde der Frontstaat zu Israel, der den überwiegenden Teil seines Geldes ins Militär steckt, von der Sowjetunion unterstützt. Seit 1988 legt Moskau aber Rechnungen vor. 10 bis 15 Milliarden Dollar soll Syrien der UdSSR schulden, und jede Schraube und jedes kaputte Panzerkettenglied kostet jetzt Devisen.

Die Regierung in Damaskus flüchtet vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in Richtung Marktwirtschaft. Seit Herbst 1990 können Touristen auf syrischen Banken ihre Devisen annähernd zum Weltmarktwert in syrische Pfund tauschen. Die Regierung überlegt, die Währung ganz dem Weltmarkt anzupassen, sie also frei konvertierbar zu machen. Das syrische Geld hätte dann nur noch 40 Prozent seines Wertes.

Für Unruhe unter der Bevölkerung sorgt aber vor allem das Gerücht, die Regierung plane die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln aufzuheben. Tee, Zucker und Reis könnten dann um 1.000 Prozent teurer werden. Aber selbst das, fürchten syrische Oppositionelle, würde die Stabilität der Regierung unter Hafiz al-Assad nicht gefährden. „Das Regime steht auf einem festen Betonsockel“, beschreibt eine Syrerin den Zustand der Regierung. Um möglichen Protesten gegen die antiirakische Politik Assads während des Golfkriegs vorzubeugen, sollen in Syrien vor Kriegsausbruch Tausende verhaftet worden sein. Viele Syrer fürchten, die Regierung könnte eine neue Wirtschaftspolitik ähnlich durchsetzen.