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Der Engel und die Jungfrau

■ Der Frauenkammerchor Berlin in Potsdam

Vorweg ein kleiner Tip zur Freizeitgestaltung, die Sehenswürdigkeiten von Potsdam betreffend: Bei anhaltend naß-kalter Witterung bietet sich eine der letzten Gelegenheiten, die Potsdamer Prachtbauten vor dem Sommerrummel zu bewundern. Und wer die üppigen Gärten schon durchwandert hat, schlotternd vorm großen Rundbau von Sanssoucis steht und selbst von der Vorstellung, Friedrich der Große (oder dessen Geliebte) zu sein, nicht gewärmt wird, findet gütige Aufnahme in der St. Nikolaikirche am alten Markt. Am 27.April, um 16.30 Uhr singt dort der Frauenkammerchor Berlin unter der Leitung von Etta Hilsberg ein Programm mit katholischer Kirchenmusik der Romantik, das die Unbilden des Wetters vergessen machen mag (falls es gegen alle Erwartung heiß sein sollte: Kirchen sind immer ein kühler Ort).

Katholische Kirchenmusik: da ist man geneigt, die Verbindung von monumentalem Stil mit ritueller Strenge zu assoziieren. Aber die römische Kirche gönnte sich von jeher die Schwärmerei zu der einzigen Frau, die eine wirkliche Rolle im religiösen Geschehen gespielt hat. »Regina caelorum«, die Himmelskönigin Maria — Mutter und ferne Geliebte zugleich — war oft Gegenstand sanfter Anbetung. Sie spendete Trost den tränenreichen Frauen und zerknirschten Männern. So ertönten Marienhymnen schon auf mancherlei Weise aus vielerlei Mund, und sogleich legte sich der zarte Schleier der Zuversicht lindernd über den grausamen Alltag der ins Sein geworfenen Seelen.

Wie sollten da die Romantiker zurückstehen? Wo doch nie zuvor mehr Seufzer und Tränen der Sehnsucht das betrübte Gemüt verließen als in den Liedern und Romanzen der Post-Beethovenschen Tonsetzer. Johannes Brahms, Joseph Rheinberger und Anton Bruckner (die Musikgeschichte rechnet sie zum romantisierenden Klassizismus) übernahmen einige sentimentalistischen Empfindungen in die Komposition ihres »Ave Maria« (dies waren die Worte des Engel Gabriel zur Mutter Gottes).

Und wie spricht der Engel zu der zarten Jungfrau? Sanft, um sie nicht zu schrecken; schlicht, damit sie versteht. Und so haben es auch die Komponisten getan, haben einfache und pastorale Musik geschrieben, die zugleich ergreifen und entzücken soll — solche Art schwärmender Frauenverehrung hat den Männern der Romantik stets gefallen. Den Reigen seliger Jungfrauen des Chores führt die Sopranistin Adele Stolte an.

Sie ist auch die Solistin in der »Messe A-Dur« und der »Missa Puerorum« für Sopran und Orgel des Joseph Rheinberger, ein nicht oft zu hörender (seine Orgelsonaten werden aber noch viel gespielt) Vertreter des späten 19. Jahrhunderts.

Felix Mendelssohn-Bartholdys »Laudate Pueri« beschließt das Programm mit seltenen Frauenchorstücken, das nicht religiöse Überredungsrhetorik, sondern intime Gesänge enthält — Pretiosen allesamt. (Um 16.30 Uhr in der Nikolaikirche, Am Alten Markt Potsdam) fh

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