: Das Unausgesprochene zur sinnlichen Gestalt
■ Im Hans-Otto-Theater Potsdam wird Harold Pinters »stummer Diener« exekutiert
Foto: Jutta Oloff
Zwei Killer im Keller. Von einer mysteriösen Organisation gedungen, warten sie — wie schon viele Male — auf das unbekannte Opfer, das — soviel steht fest — durch die Tür kommen wird. Mit ihren blankgewichsten Gamaschen, den ordentlich zugeknöpften Westen, den pomadig angeklatschten Haaren scheinen sie umweglos dem Gangstermilieu der Prohibition entstiegen zu sein. Und tatsächlich ist die flunderflache Bühne in einen schwarzen Breitwandkasten eingefaßt, so daß im Zuschauer durchaus Gefühle kinematographischer Sehgewohnheiten aufblitzen können.
Doch die nackte action bleibt aus. Statt dessen: Ein Seelenkrimi mit allenfalls verdeckter Handlung. Ein Spiel durch Worte. Mit Worten. Vorsichtigen Bewegungen, verhaltenen Gesten: den beiden Akteuren klebt eine körperliche Unfreiheit am Leibe, die beklemmt. Die Szenerie ist absurd, doch ohne Heiterkeit. Das Spiel ist realistisch, doch die Realität hält sich bedeckt. Das Stück ist von Harold Pinter.
Die Killer warten im Keller auf Instruktionen von oben, von draußen — doch die kommen nur spärlich und geheimnisvoll. Ein Brief mit Streichhölzern und ein knallrot ausgepolsterter Speiseaufzug, der stumme Diener, der nichts als immer ausgefallenere Essenswünsche übermittelt. Wie konkret die Dinge auch immer sind, sie ergeben keinen Sinn, bleiben leere Zeichen, ohne Aufschluß für den Auftrag, den es zweifellos auszuführen gilt. So bleiben die beiden Befehlsempfänger ausgeliefert an das Ungewisse, an das Warten, ... und an den jeweils anderen...
Pinters frühes Stück aus den 50er Jahren verweigert sich resolut einer Konkretheit, die es erlauben könnte, einen ideologiekritischen Rahmen zu konstruieren. Es geht um das bedrückend Allgemeine. Um die Existenzangst des einzelnen, die sich aus einer inneren Spannung heraus in Gewaltakten entlädt. Das kann sehr viel sein. Muß es aber nicht. In Potsdam, auf der Probebühne des Hans-Otto-Theaters, mußte es nicht.
Die Inszenierung verwechselt existenzielle Spannung mit bewegungsloser Zähigkeit. Jeder Ansatz zu einer alles überschattenden Ungewißheit wird von Banalität aufgesogen. Lahme Unverbindlichkeit statt geheimnisvoller Lähmung. Gewiß, die Gespräche, die Ben (Torsten Bauer) und Gus (Bernhard Geffke) miteinander führen, sind an der Oberfläche voller Trivialität. Wenn aber Schauspieler die Texte des ehemaligen Berufskollegen Pinter lieben, dann, weil sie ganz entschieden dazu herausfordern, das Unausgesprochene zur sinnlichen Gestalt werden zu lassen. Mit der grobschlächtigen Darstellung eines brutal-servilen und eines nervösen, schwachen Typen ist die schwierige Durchlässigkeit der Realität aufs Symbolische hin nicht zu haben.
Der Verdacht tut sich auf, daß hier ehemalige DDR-Verhältnisse gegeißelt werden sollten. Doch ein dramaturgischer Ansatzpunkt ersetzt nicht dramaturgische Intensität. Im Gegenteil: die dem Kurzdrama eingeschriebene Atmosphäre der Ungewißheit wird zur kraft- und saftlosen Ausrede. Im fahlen Spiel blinkt der Imperativ des Theaterhandwerkers: »Wir vertrauen dem Text!« so routiniert auf, daß er nicht nur falsch, sondern einfach faul wirkt. Im aktuellen Zusammenhang gar oberfaul. baal
Samstag 20.00 im Hans-Otto-Theater Potsdam (Probebühne)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen