: Putzfrau und Klempner allzeit bereit
■ Zu den Video- und Textperformances von Dmitri A. Prigov in der daadgalerie
Dmitri Prigov kann z. Zt. dank des Austauschprogramms des daad in der gesamten multimedialen Bandbreite seines Schaffens betrachtet werden. Noch bis Samstag ist die Ausstellung des grafischen Zyklus »100 Zeichnungen für eine Putzfrau und einen Klempner« in der Agentur für Kunst — Interart zu sehen. Mit einer Installation, die die Thematik der Zeichnungen in den Raum transformiert, ist Prigov an dem Ausstellungsprojekt Metropolis im Martin-Gropius- Bau beteiligt, am Freitag wird er ein Videoband in der daadgalerie zeigen und am Samstag als Textperformer mit musikalischer Begleitung auftreten.
Sowjetische Kunst im Westen ist mit »Das asthenische Syndrom« und »Taxi Blues« ein Synonym für die schonungslose Darstellung der moralischen Zerrüttung und des gesellschaftlichen Verfalls; mit den zahllosen »Exil«-Künstlern, die sich nun in New Yorker Galerien die Klinke in die Hand geben, ein Synonym für Marktanpassung und Lenin- Profile auf Stars und Stripes geworden. Was unterscheidet »den« sowjetischen Künstler und »die« sowjetische Kunst von ihrer westlichen Dependance?
Prigov hält die sowjetischen Künstler für mehrfach schizophren, gezwungenermaßen schizophren. Historisch gespalten durch asiatische und europäische Einflüsse, gesellschaftlich gespalten durch Transformation und Mutation sozialistischer Ideologie, künstlerisch gespalten durch die Unvereinbarkeit von Kunstgeschichte der letzten fünfzig Jahre und Kunstmarkt im Ost-West- Vergleich und schließlich persönlich gespalten in der Frage, wohin es geht.
Dem sowjetischen Künstler bescheinigt Prigov größere Flexibilität in Themenauswahl und künstlerischen Ausdruck als dem West-Künster, der in einem viel stärkeren Maße an einer persönlich subjektiven Ausdrucksform oder einem individuellen Weltentwurf arbeitet. Man kann diese Haltung für Opportunismus oder stärkere gesellschaftliche Verflechtung halten, wahrscheinlich ist es beides, und wahrscheinlich sind beide Erklärungen zu Bestandteilen einer sowjetischen Mentalität geworden.
Dies gilt auch vorbehaltlos für Prigov. Sowenig, wie er sich auf ein Medium festlegen kann, läßt er sich an stilistischen Marken wiedererkennen. Gemein ist Text, Video, Installation und Zeichnung nur ein inhaltliches Motiv, die Parodie von allen Wahrheit beanspruchenden Theorien. Kein Gott nirgends. Neunundneunzig Zeichnungen lang kniet die Putzfrau — »Putzfrau und Klempner sind die Helden des Alltags. Sie sind die eigentlichen Helden jeder Ideologie« — betend vor dem Blutstropfen weinendem Gottesauge, Wunder geschehen um sie herum, aber sie schaut nicht auf. Die Nummer 100 ist ohne Zeichnung auf die Tür geklebt. Erlösung oder Apathie? In seinen Texten übernimmt Prigov die faulig schmeckenden Phrasen sozialistischer Propaganda (»Allzeit bereit!«), um wie in den Textbüchern Heissenbüttels in grafischer Form ihre Struktur zu untersuchen und kondensiert so ihren (geringen) Wahrheitsgehalt. »Ideologien sind strukturale Sprachphänomene«, meint Prigov dazu.
Einige dieser analytischen Lautgedichte werden bei der Textperformance in der daadgalerie erstmalig in Deutschland zu hören sein. Leider erlaubt ihre Struktur nur selten eine vernünftige Übersetzung, aber Prigov hofft, daß sie zumindest in ihrem Lautklang auch nicht-russisch sprechendem Publikum verständlich werden, dem zudem mit zwischenübersetzungen und einleitenden Erklärungen der Zugang erleichtert werden soll. Spannend wird auch schon am Freitag im Café Einstein, wenn er das 1990 in Zusammenarbeit mit Lisa Schmidt in Berlin gedrehte Video vorstellt. Mehr wollte er leider nicht verraten. Thomas Sakschewski
Am Freitag 17 Uhr in der daadgalerie, Kurfürstenstraße 58, 1-30
Am Samstag 19 Uhr bei InterArt, Potsdamer Straße 93, 1-30
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