: Der Wein in den Gedichten Gotthold Ephraim Lessings
Nur ahnungslose Zeitgenossen halten die deutschen Winzer noch immer für Einfaltspinsel. Daß sie sich in ihrem Denken und Handeln längst von Weltläufigkeit und Einfallsreichtum leiten lassen, diesen Beweis haben sie erst jüngst wieder erbracht. Und zwar mit der Ausschreibung eines „Nikolaus-Cusanus-Weinkultur-Förderpreises“. Nach dem Motto „Was die Natur dem deutschen Wein an Öchslegraden vorenthält, muß die Kultur erbringen“ macht man sich daran, endlich dem skandalösen „Mangel an weinliterarischen Arbeiten“ abzuhelfen. Wie ernst man es damit meint, geht schon aus der Höhe des Preises hervor: Nicht weniger als 10.000DM (5.000 in bar, der Rest in Naturalien) wird dem Gewinner von einem Förderkreis ausgelobt, der sich aus den „Weingütern im Bernkasteler Ring“, der Stadt sowie der Verbandsgemeinde Bernkastel-Kues und dem Landkreis Bernkastel-Wittlich zusammensetzt. Das Ganze für eine Arbeit über den „Wein in den Gedichten Gotthold Ephraim Lessings“.
Die Wahl des Namenspatrons mag ja noch in einem wörtlichen Sinne nahe gelegen haben (für alle, denen's in Vergessenheit geraten sein sollte: Cusanus = Nikolaus von Kuen, geb. anno 1401 in der gleichnamigen Ortschaft an der Mosel.) Die Formulierung des Themas läßt jedoch erkennen, daß man es bei den Stiftern, den Organisatoren und der Jury mit Leuten zu tun hat, die nicht nur in der Lokalgeschichte bewandert sind. Die Kandidaten, „insbesondere“ die angesprochenen „jungen Germanisten“, haben vor Argusaugen zu bestehen, die lauter Kennern der geistigen wie flüssigen Materie gehören: einem Professor für Deutsche Literatur (der einzige, der sich offenbar noch nicht durch einschlägige Veröffentlichungen hervorgetan hat), AutorInnen weinkultureller, weinwissenschaftlicher und weinbibliographischer Arbeiten sowie keinem geringeren als dem „Doyen der deutsch-sprachigen Wein-Publizistik“, dem Herausgeber der Zeitschrift 'Alles über Wein‘, Heinz-Gert Woschek.
Mit Lessing hat man einen guten Griff getan.
Wie einst Cusanus die Wende vom scholastischen zum humanistischen Denken vollzog, so Lessing die vom bloßen Saufen zum Genuß, der erst das Nachdenken über sie segensreichen Wirkungen geistiger Getränke möglicht macht:
Mein Freund, der Narr vom philosoph'schen Orden,
so lauten die Auftaktzeilen seines Weinliebhabern längst bekannten Liedes,
Hat sich bekehrt, und ist ein Trinker geworden.
Er zecht mit mir und meinen Brüdern,
Und fühlet schon in unsen Liedern
mehr Weisheit, Witz und Kraft, ...
Dem Gewinner des Preises winkt nicht nur die Veröffentlichung einer Kurzfassung seiner Schrift im Versteigerungskatalog des Bernkasteler Rings, sondern die ihrer integralen Fassung in einer bislang fehlenden „Weinkultur-Anthologie“. Zu dieser bildet Lessing nur den Auftakt. Folgen werden diesem Thema vermutlich solche zu Goethe (dem Viertele nie abgeneigt), zu E.T.A.Hoffmann (dem wir die bislang nützlichste Rangordnung alkoholischer Getränke verdanken), zu Gottfried Keller und Joseph Roth. Der Autor derLegende vom heiligen Trinker bildet nur den vorläufigen Höhepunkt in der Geschichte der segensreichen Wirkungen des Weines auf die Literatur. Eine Gesamtschau der Forschung wie der Weinkultur insgesamt. Welche große Aufgaben sich der ersten dabei stellen, belegt die unbefriedigende Antwort Lessings auf eine der zentralen Fragen unserer Kulturgeschichte. Seine Erwiderung auf das
Warum wohl in der Welt der Fische,
In Flüssen und im Meer,
Nicht Wein statt Wassers wär'?
des geläuterten Philosophen fiel dann doch etwas allzu platt aus:
Die Ursach' ist leicht zu erdenken,
Damit, wenn Esel davon tränken,
Die Esel, nur verdammt zu Bürden,
Nicht klüger als die Menschen würden. Momme Brodersen
P.S.: Familienmitglieder der Weingüter im Bernkasteler Ring können sich nicht um den Preis bewerben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen