piwik no script img

Wie man eine Hexe wird

Ein Porträt der afrikanischen Schriftstellerin Ama Ata Aidoo  ■ Von Sarah Hemming

Die schriftliche Bestätigung, daß Ama Ata Aidoo sich freue, am Ostermontag ein Interview zu geben, beinhaltet eine kleine Warnung: „Sie ist nicht sicher, wie konzentriert sie nach dem Flug sein wird.“ Die Realität sieht anders aus. Obwohl nur wenige Stunden seit ihrer Ankunft aus Harare vergangen sind, kann man sich kaum jemanden vorstellen, der gelassener und konzentrierter wäre. Trotzdem blitzt hinter ihrer statuenhaften, fast königlichen Gelassenheit ein scharfer Sinn für Humor immer wieder auf. Ama Ata Aidoos Werk hat viele Facetten. In London hält sie sich auf, um an der britischen Premiere ihres Theaterstücks Anowa teilzunehmen und für ihren neuesten Roman Changes, der am selben Tag erscheint, zu werben. Während ihres letzten London-Aufenthaltes im Dezember 1990 war sie mit Lesungen ihrer Gedichte und Kurzgeschichten auf Tournee.

Ama Ata Aidoo lebt in Simbabwe, wurde jedoch in Ghana geboren, und dort spielen auch ihr Roman und das Theaterstück. Sicherlich ist sie keine Frau, die sich leicht einer bestimmten Kategorie zuordnen läßt. „Wissen Sie, ich begann zu schreiben, als ich sehr jung war“, sagt sie mit einem Seufzer des Bedauerns über ihre beeindruckende Karriere. „Vielleicht wußte ich nicht, was gut für mich war. Als ich zum ersten Mal davon sprach, eine Schriftstellerin zu werden, war ich 15. Halten Sie das für etwas Besonderes? Schauen Sie mich an!“ Sie lacht. „Ich bin immer noch arm!“

Anowa und Changes markieren die beiden Extrempunkte ihres bisherigen Schreibens — Changes ist ihre letzte Arbeit, Anowa wurde 1968 geschrieben. Obwohl zwischen beiden Büchern mehr als 20 Jahre liegen, gibt es viele Gemeinsamkeiten. Beide erzählen von einer ghanaischen Frau, die ihre Freiheit gegen die gesellschaftlichen Erwartungen durchsetzt. Anowa, 1970 erschienen, erzählt die Geschichte einer im 19. Jahrhundert lebenden Dorfbewohnerin, die gegen die Konventionen rebelliert. „Ich war von der Geschichte des Mädchens fasziniert, das sich weigert, den Mann zu heiraten, den ihre Verwandtschaft für sie ausgewählt hat“, erklärt sie. „Das ist ein klassische afrikanische Geschichte — auf dem ganzen Kontinent gibt es viele verschiedene Versionen. Mich interessierte die Frage, wie es dazu kommen kann, daß eine Frau Hexe genannt wird. In Afrika hat eine Frau Angst, auch nur das Geringste zu unternehmen — wenn du zu unternehmungslustig bist, bist du eine Hexe; wenn du dich den Traditionen nicht unterwirfst, bist du eine Hexe; wenn es dir zu reich wirst, bist du eine Hexe.“

Aidoo gibt dem traditionellen Stoff eine politische Wendung. Anowas Wahl des Ehemanns stellt sich als unklug heraus, da er ins Sklavengeschäft verwickelt wird. Anowa lehnt sich gegen ihn auf, und am Ende ist sie allein. Auch in Changes ist die Hauptfigur Esi eine willensstarke Frau, die versucht, eine Form der Ehe zu finden, die nach ihren eigenen Vorstellungen funktioniert. Obwohl Esi eine moderne Stadtbewohnerin ist, gibt es Ähnlichkeiten zwischen Anowa und ihr. „Vielleicht ist das der einzige Typ Frau, der mich interessiert“, sagt Aidoo. „Ich möchte herausfinden, wie eine Frau sein muß, um stark genannt zu werden.“ Changes ist auch eine Liebesgeschichte, die die Autorin als „an exercise in word eating“ beschreibt. „Ich sagte einmal in einem Interview, daß ich niemals eine Liebesgeschichte schreiben würde. Ich glaube, was ich wirklich meinte, war, daß man es sich nicht leisten kann, dieses Thema leichtfertig zu bearbeiten. Normalerweise muß sich das Paar in einer Liebesgeschichte nur darüber Gedanken machen, wie es zusammenkommt. Wenn sie einmal zusammengekommen sind, leben sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage... Ich meine, wenn Leute sich verlieben, wirklich verlieben, sollten sie sich besser aufs Chaos vorbereiten.“

In die Liebesgeschichte verwebt Aidoo Details über die widersprüchlichen Zwänge, denen eine junge afrikanische Frau zwischen zeitgenössischen und traditionellen Werten ausgesetzt ist. Außerdem ruft der Roman eine lebendige Vorstellung des Ortes hervor: Man kann die Stadt Accra fast hören und riechen. Diese Unmittelbarkeit des Stils könnte etwas mit der afrikanischen Tradition mündlichen Erzählens zu tun haben, die auch Aidoos Werk prägt. Die meisten ihrer Gedichte und Geschichten sollten laut vorgelesen werden. Die Tatsache, daß sie sich der Schrift aus der mündlichen Erzähltradition annähert, mag ihren freien Umgang mit Sprache erklären. Im Roman verzichtet sie manchmal auf den Fortlauf der Erzählung, um ihren Figuren zu ermöglichen, in einem vollkommen anderen Stil über ihre Situation zu reflektieren — man sieht förmlich vor sich, wie sie die Pros und Contras an ihren Fingern abzählen. Der Wechsel in Rhythmus und Stil fängt die Art ein, wie Menschen sich gelegentlich von ihrem Leben distanzieren, um sich Klarheit zu verschaffen. „Vielleicht ist das von einer mündlichen Tradition beeinflußt“, stimmt sie zu. „Ich habe immer geglaubt, daß sich niemand so eng an die erzählte Handlung binden sollte. Das Leben selbst ist keine lange ungebrochene Erzählung. Manchmal ist dir nach Springen und Singen zumute. Ich glaube, Schriftsteller sollten offen für diese spontanen Ausdrucksformen sein.“

Auch in Anowa wird zwischen Dialog und poetischen Monologen gewechselt, Musik und Chor verwendet. Aidoo betont, daß sie in ihrem Theaterstück unbewußt auf traditionelle afrikanische Erzählformen zurückgreift. „Als Anowa entstand, habe ich einfach geschrieben. Würde ich es heute noch einmal schreiben, dann mit ein wenig mehr Bewußtsein. Abgesehen von der englischen Sprache, ist das Stück sehr afrikanisch. Sogar die Art, wie die Leute reden, basiert auf traditionellen afrikanischen Sprachmustern. Der alte Mann und die alte Frau, die den Chor bilden, sind sehr afrikanisch. Jemand sagte mir: ,Das ist typisch griechisch.‘ Ich sagte: ,Wie bitte? Wenn das griechisch ist, dann waren die Griechen Afrikaner.‘ Der alte Mann und die alte Frau, die den Chor bilden, werden auf der Darstellerliste interessanterweise „Der- Mund-der-Salz-und-Pfeffer-ißt“ genannt. Aidoo erklärt: „Das bedeutet, daß sie die Stimme des Volkes sind, die Meinung der Gesellschaft widerspiegeln. Es passiert nichts, ohne daß die Leute ihren Kommentar dazu abgeben. Wenn es dir nicht gefällt, nennst du es Klatsch. Wenn du glaubst, daß es einen Platz dafür geben muß, wird daraus ein Chor. Der Ausdruck selbst resultiert aus der Tatsache, daß jeder Mund Salz und Pfeffer ißt. Es sein denn, jemand hat ein Problem mit Natrium oder so...“ Aidoo betrachtet ihre Arbeit offensichtlich mit Humor. „Ich möchte den Schaffensprozeß nicht mystifizieren, aber ich bin absolut überzeugt, daß jedes Thema seine eigene Form hat. Anowa hat sich selbst als Theaterstück präsentiert. Ich konnte mir den Stoff nie als Roman vorstellen. Changes war ursprünglich ein Hörspiel, dann wurde es als Bühnenstück in Auftrag gegeben. Aber das funktionierte nicht, und ich wußte, die einzige Möglichkeit, diese Geschichte zu Ende zu bringen, war, einen Roman zu schreiben.“

Ein Werk abzuschließen, ist nur die eine Hälfte des Kampfes. Aidoo betont, wie schwierig es für afrikanische Schriftstellerinnen ist, ihre Arbeiten zu veröffentlichen und ein Publikum zu finden. „Du wirst in eine Ecke abgeschoben. Ein amerikanischer Freund schickte mir eine kritische Studie, die er über westafrikanische Romane verfaßt hatte: Er setzte sich nur mit Männern auseinander! Ich frage ihn: ,Wie konntest du das tun?‘ Er antwortete mir, die Arbeit auf afrikanische Romane auszudehnen, sei schon revolutionär genug. Frauen in die Analyse einzubeziehen, sei einfach zuviel. Dieses Ausmaß von Desinteresse an unserer Arbeit ist ein großes Handicap.“ Das Gate Theatre führt nun Anowa als Teil der Reihe „Frauen im Theater der Welt“ auf. Freut sie sich, daß Anowa nach 20 Jahren Großbritannien erreicht hat? „Meine Liebe“, sagt sie, die Fingerspitzen in gespielter Ernsthaftigkeit zusammenführend, „natürlich. Wir sind in London!“

Aus: 'The Independent‘, 3.4.91. Aus dem Englischen von Antje Kroll.

Anowa wird seit dem 4. April im Gate Theatre, Notting Hill gespielt; Changes ist beim Verlag The Women's Press erschienen und kostet 6,95 englische Pfund.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen