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Brunkhorsts Guillotine

Deutsche Intellektuelle mit französischer Krankheit  ■ Von Volker Heins

Spätestens seit der Wiedervereinigung und dem Golfkrieg ist auch unter deutschen Linksintellektuellen das Selbstverständnis eine knappe Ressource geworden. Für einige ist das Grund zum Optimismus. Micha Brumlik zum Beispiel hofft, daß sich jetzt in Deutschland wiederholt, was in Frankreich bereits nach dem Erscheinen von Alexander Solschenizyns Archipel Gulag eintrat: die Hinwendung der Intellektuellen zu einem liberalen Antidespotismus. Andere artikulieren ihre Katerstimmung, indem sie trotzig und pathetisch am Bild des großen, missionarischen Intellektuellen à la Sartre festhalten. Ein gutes Beispiel für diese linkskonservative Tendenz bietet Hauke Brunkhorst, der zuletzt einen Essayband vorgelegt hat, in dem ausgiebig das „linke Konvertitentum“ denunziert wurde. Das Buch ist nützlich, weil es uns noch einmal an den unerbittlichen Kanon des Intellektuellen erinnert, der sich durch keine Lektüre und kein Ereignis von seinem Olymp locken läßt.

Im Unterschied zu seinem Lehrer Jürgen Habermas hält Brunkhorst die „neue Unübersichtlichkeit“ in den Gesellschaften der industriell hochentwickelten Länder für bloßen Schein. Jedem, der politische Unübersichtlichkeit konstatiert, wird vielmehr die härteste Diagnose zuteil, die Brunkhorst parat hat: Er oder sie leidet an einer mentalen Infektionskrankheit namens „Postmoderne“. Die Herkunft dieses epidemischen Leidens ist unbekannt, obwohl an einer Stelle etwas von den „Ufern der Seine“ gemunkelt wird, aber auch von „Manhattan“. Das wichtigste Symptom besteht darin, daß die von dem Leiden Befallenen an der universellen Orientierungskraft des Rechts/Links-Schemas zu zweifeln beginnen und sich, wie es an einer Stelle heißt, der „einsamen Lektüre von Manés Sperber, Hannah Arendt“ oder gar — horribile dictu — „André Glucksmann“ überlassen. Neben den vielgescholtenen „Renegaten“ aus Frankreich — Brunkhorst verwendet tatsächlich dieses Wort — werden Autoren wie Rorty, Luhmann und Enzensberger nacheinander rhetorisch gevierteilt.

Das einzige Medikament, das Heilung bringen könnte — es heißt „Hegel“ und kommt aus Deutschland —, wird von den Postmodernen hartnäckig verweigert. Hegel hat für Brunkhorst eine ungebrochene Vorbildfunktion, weil er stets mit „Zwischenrufen und Zurechtweisungen des Zeitgeistes“ hervorgetreten sei. Vor allem habe Hegel nicht die „harmlose Idee von Revolution“ verfochten, wie sie heute von den Streitern für eine zivile Gesellschaft und anderen postmodernen Weichlingen formuliert werde. Brunkhorst nennt sie „sentimental“, weil sie die „bösen, vorgeblich totalitären Konsequenzen“ der modernen Revolutionen anklagen. Hier wird nebenbei auch die neuere Geschichtsschreibung der französischen Revolution verrissen, etwa die Arbeit Francois Furets, in der auch die Opfer des heroischen „Sonnenaufgangs“ vorkommen. Wer nicht als postmodern gelten will, muß die französische (und die russische?) Revolution hochhalten, und zwar dieganze Revolution. Die LeserIn spürt bei Brunkhorst, was dieser bei Hegel wittert: den „scharfen Luftzug des Guillotinenmessers“!

Bei soviel Hurra-Modernismus nehme ich irritiert die wenigen Begnadigungen zur Kenntnis, die Brunkhorst nach oberflächlicher Prüfung erläßt. „Foucault ist kein Postmoderner“, lesen wir etwa zu unserer Überraschung. Andere Kandidaten vermisse ich auf der langen Liste der Konter-Intellektuellen. Fest steht, daß Brunkhorst dabei ist, sich einen Namen als Haudegen eines durchaus eng verstandenen Modernismus zu machen: ein Habermas fürs Grobe, ohne Hosen: sans culottes. Politisch läuft seine Polemik auf einen traditionellen Sozialismus heraus, der noch ganz auf die staatliche „Kontrollierbarkeit der Gesellschaft“ und die alte Übersichtlichkeit der politischen Lager setzt. Wenn allein dieser Glaube „modern“ sein soll, wird Brunkhorst die Quarantäne-Bestimmungen gegen den postmodernen Bazillus ziemlich weit ausdehnen müssen; schließlich forderte schon Max Horkheimer, im Oktober 1965, „eine Kritik von oben, das heißt weder von links noch rechts...“

Brunkhorst modernistisches Revolutionspathos ist weniger kritisch als vielmehr schlicht missionarisch. In guten Zeiten beansprucht die zugrundeliegende Strategie, eine Wahrheit, die quasi unbefleckt empfangen wurde, im Diesseits durchzusetzen; in schlechten Zeiten begnügt sie sich mit rhetorischen Impfkampagnen gegen einen unbegriffenen Zeitgeist. Das jakobinische Kritikmodell entzieht sich, wie es der amerikanische Philosoph Michael Walzer ausdrückt, dem „geschichtlichen Bezug und der moralischen Spezifik, die die prophetische und gesellschaftskritische Praxis erfordert“. Kein Wunder, daß seine Anhänger, die Hohepriester der Moderne, zu Manipulationsversuchen tendieren oder gar zu fragwürdigen Zweckbündnissen: mit Monsieur Guillotin.

Hauke Brunkhorst: Der entzauberte Intellektuelle. Über die neue Beliebigkeit des Denkens , Junius Verlag, 29,80 DM

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