: „Es gibt keine Alternative für eine radikale linke Politik“
■ Gaby Gottwald, Ex-Bundestagsabgeordnete und Kandidatin der GAL Hamburg für die letzte Bundestagswahl, zur Lage der Partei aus linker Perspektive
taz: Das Ergebnis der Rheinland- Pfalz-Wahl für die Grünen werten nicht wenige StrömungsstrategInnen als gutes Ergebnis für die Parteilinken. Realos und Aufbruch könnten nun auf dem Parteitag in Neumünster nicht mehr so massiv Druck für eine grundsätzliche Strukturreform der Partei machen. Wie siehst Du das?
Gaby Gottwald: Grundsätzlich ändert Rheinland-Pfalz im Hinblick auf Neumünster gar nichts. Realos und Aufbruch werden darauf bestehen, daß die Entwicklung, die die Grünen seit Jahren nehmen, nun endlich besiegelt wird — sprich, grüne Inhalte sollen so verändert werden, daß sie etwa zur „ökologischen Bürgerrechtspartei“ einer Antje Vollmer passen. Zu diesem Zweck will man die grünen Strukturen kippen.
Das Vorhaben Strukturreform ist nicht neu. Realos und Aufbruch haben auf jeder der letzten Bundesversammlungen versucht, damit durchzukommen. Ist der Weg dafür nun in Neumünster geebnet?
Ja. Erinnere dich an die Debatten nach der Wahlniederlage im Dezember. Da haben Realos und Aufbruch vor allem eines signalisiert: Kein Interesse mehr an irgendeiner Diskussion, gar Zusammenarbeit mit den Linken. Sie haben das Motto ausgegeben, entweder ihr macht das jetzt so, wie wir das wollen, oder wir gehen beziehungsweise machen eine eigene Partei auf. Ich glaube, sie sind mittlerweile auch stark genug, das durchzuziehen.
Warum so wenig selbstbewußt? So resigniert?
Man muß einfach sehen, daß vielen Grünen der Wahlschock noch in den Gliedern steckt. Sie sind nicht bereit zu überlegen, woran es gescheitert ist. Sie sind nicht bereit, zu erkennen, daß wir in dieser speziellen Wahl um Deutschland keinen Gegenpol gebildet haben — keinen Gegenpol, der angeregt hat, die Grünen zu wählen. Statt dessen wird alles auf die grünen Strukturen geschoben. Das ist natürlich bequemer — und natürlich verkehrt. Was man auch sehen muß: Politik ist eben an Erfolg gekoppelt. Erfolg mißt sich bei uns an den Prozenten, die man in Wahlen holt. Auf dieses Denken haben sich die Grünen immer mehr eingelassen. Das kann ich nicht einfach ignorieren...
...sondern mußt davor kapitulieren?
Der andere Strang in der grünen Geschichte, die Tatsache nämlich, daß man aus einer bestimmten Bewegung kommt, daß gerade Radikalität mit zum Erfolg geführt hat — all das wird doch immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Es ist natürlich in der heutigen Zeit schwerer, eine radikale Politik zu machen, die sich in Prozentzahlen messen läßt. Aber ich würde doch vor dem Irrglauben warnen, es sei erfolgreich, sich an die Mitte anzupassen. Auf lange Sicht ist dort für eine modische, für eine wischiwaschi-grüne Partei kein Platz. Drum gibt es keine Alternative zu einer radikalen, einer linken Politik. Diese Einsicht müßte eigentlich selbst in einen realpolitischen Kopf reingehen.
Heißt radikal sein notwendig auch, die herrschende Parteistruktur beizubehalten — eine Struktur, die so mühsam, so zeitraubend, so ineffizient sein kann, daß sie radikale Politik auch verhindert?
Ich will nicht bestreiten daß man Prozesse von Meinungsfindung innerhalb der Partei verändern muß. Ein Beispiel: Wenn Grüne behaupten, über das Prinzip Basisdemokratie zu Entscheidungen zu gelangen, dann müssen sie sich auch überlegen, wie man jemanden an der Basis in den Stand versetzt, wirklich entscheidungsfähig zu sein. Es kann nicht richtig sein, daß jeder überall mitquatscht. Genau das geschieht aber bei den Grünen viel zu oft. Strukturen, die so etwas hervorbringen, soll man nicht konservieren. Trotzdem ist die zentrale Frage: Hältst du an dem Prinzip Basisdemokratie fest. Oder willst du ein Prinzip wie die anderen Parteien. Dort werden Entscheidungen von oben nach unten getroffen. Das ist effektiv, wenn man eine einheitliche Außendarstellung anstrebt. Vor allem ist es effektiv, wenn man seine Inhalte durchsetzen will. Und deshalb kämpfen Realos und Aufbruch ja auch so für eine entsprechende Struktur.
Es soll nicht so sein, sagst du, daß jeder überall mitquatscht. Wie kann das die Grüne Struktur so wie sie vor Neumünster noch ist, verhindern?
Man muß sich mehr darum bemühen, Leute an Themen heranzuführen. Das geschieht bei den Grünen nicht. Zum Beispiel leistet die Partei überhaupt keine Bildungsarbeit. Es fällt ihr schwer, Leute heranzuziehen, die qualifizierte Debatten führen. In diese Richtung wird derzeit kein bißchen gedacht. Nur in die andere. Das heißt, gefragt wird nur, wie halten wir Leute — auch wenn offenkundig ist, daß es denen nicht bekommt, für längere Zeit auf Posten zu sitzen, wo sie sich für unersetzbar halten und drum von niemanden kontrollieren lassen. Zu dem Argument, es sei aber effizienter, die sogenannten guten Leute in ihren Stellungen zu belassen: Es ist eine politische Frage, was man unter Effizienz versteht. Es geht doch nicht an, die Politik erst auf Personen zuzuschneiden — siehe Fischer oder Vollmer — und dann die Struktur von diesen Leuten bestimmen zu lassen, damit sie auf diesem Weg wiederum ihre Inhalte durchsetzen.
Das herrschende grüne Modell von Basisdemokratie wird aber auch von einem großen Teil der Linken kritisiert. Weshalb konnten jene, die wie du dieses Modell prinziell gut finden, es nicht mehrheitsfähig halten?
Es haben zu wenig Leute darüber nachgedacht, wie man innerhalb der existierenden Strukturen die Funktionsmechanismen verbessern kann, sprich Transparenz und Entscheidungsfähigkeit herstellen kann. Die Linke weiß seit Jahren, daß es mit der Basisdemokratie nicht so einfach ist. Sie ist aber erst aktiv geworden, als sie die Strukturen nicht mehr dominierte. Da war es dann schon zu spät.
Hört man sich an, was die StrömungsvertreterInnen vor Neumünster so alles sagen bekommt, hat man den Eindruck, sie ähneln sich politisch ziemlich. Gibt es keine Unterschiede mehr?
In den Köpfen gibt es die ganz sicher noch. Etwa der wertkonservative Aufbruch mit seinem Drang zu konservativen Wählern, zur Mitte: Seine VertreterInnen machen eine anti-aufklärerische Politik. Sie moralisieren rum, erzählen Geschichten. Sie analysieren nicht. Sie sagen, wir machen in dieser Gesellschaft alles schön, die Menschenrechte sind gewährleistet, über Zusammenhänge von Politik und Wirtschaft denken wir nicht nach. Dies ist nicht zu vereinbaren mit Politik, wie sie sich Linke und Kreise um das linke Forum vorstellen. Für sie gehören Politik und Ökonomie eng zusammen. Die Wertkonservativen können oder wollen das Wort Ökonomie nicht einmal schreiben. Eine andere Frage ist, ob die Linken — aus taktischen Gründen — schauen, wie man mit dem Aufbruch auf einer Metaebene zusammenkommt: Also etwa am Punkt Strukturreform oder am Punkt rot-grün. Strategisch wird der Versuch, beide Ansätze zusammenzubringen, in die Hose gehen.
Schwer vorstellbar, daß die Ideologie des Aufbruch, wie du sie analysierst, in den Grünen mehrheitsfähig wird? Bleibt er die exklusive Angelegenheit Antje Vollmers und ihrer AnhängerInnen?
Nachdenken ist immer schwerer als Nachplappern. Der scheinbare Erfolg einer Antje Vollmer — scheinbar, weil er nur daran gemessen wird, wie oft sie in den Medien auftaucht — zieht viele Grüne an. Es ist eben einfacher, auf etwas Massenwirksames zu setzen, als auf zunächst nur von sehr wenigen vertretene Positionen. Was die Aussichten von Frau Vollmer erhöht: Viele Linke, die gegen ihre Politik und ihren Politikstil angegangen sind, haben die Partei verlassen. Interview: Ferdos Forudastan
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