: Bundesbank: Talfahrt nicht beendet
■ Jahresbericht: Altlasten in Ostdeutschland unterschätzt/ Geißel für die Ausgaben im Westen
Frankfurt (dpa) — Für die Bundesbank gibt es keine Anzeichen für einen Wirtschaftsumschwung in den östlichen Bundesländern. „Bisher ist nicht damit zu rechnen, daß die Talfahrt der ostdeutschen Wirtschaft schon zu Ende ist“, heißt es in ihrem soeben veröffentlichten Geschäftsbericht 1990. Der Ost-Industrie sei es nicht gelungen, Märkte mit konkurrenzfähigen Gütern zu gewinnen. Die enormen Altlasten und Wettbewerbsschwächen seien von „manchen unterschätzt“ worden.
Als „spürbares Investitionshindernis“ im Osten machen die Volkswirte der Bundesbank die ungeklärten Eigentumsverhältnisse aus. Als Hürden erwiesen sich außerdem das Fehlen von Infrastruktur wie Schienen- und Straßennetz oder Kommunikationsmittel und qualifiziertem Personal. Außerdem empfiehlt die Notenbank eine Beschleunigung der Privatisierung, etwa im Wege eines öffentlichen Bietungsverfahrens, sowie eine Änderung im gesamten Erziehungssystem ebenso wie Umschulung und Weiterbildung. Zwar könnten soziale Härten durch Gelder aus Westdeutschland gemildert werden, entscheidend sei aber die Bewältigung des Wandels zur Marktwirtschaft in Ostdeutschland selbst. Dies erfordere freilich Zeit und einen länger dauernden Prozeß.
In der westdeutschen Wirtschaft habe sich der Nachfragedruck nach der Jahreswende 1990/91 angesichts der Exportschwäche gemildert. Die Angebotsreserven seien wegen der mangelnden Konkurrenzfähigkeit der ostdeutschen Industrie in hohem Maße ausgeschöpft. Seit dem zweiten Halbjahr 1990 würden die hohen Nachfrageimpulse aus dem Osten vor allem durch Transferzahlungen aus öffentlichen Haushalten im Westen finanziert. 1991 könnte sich die Nachfrage aber mehr als zuvor auf Investitionsgüter konzentrieren.
Die Finanzierung der Einheit setzte den Kapitalmarkt ungewöhnlichen Belastungen aus, der „1990 vor allem aufgrund der durch die deutsche Vereinigung sprunghaft steigenden Mittelaufnahmen durch öffentliche Stellen auf ein harte Probe gestellt“ wurde, meint die Bundesbank. Nur die ausgeprägte Anlagebereitschaft der BundesbürgerInnen — sie bildeten 430 Milliarden D-Mark an neuem Geldvermögen — konnte den Finanzierungshunger des Staates stillen. Die Sparneigung wurde jedoch durch hohe Zinsen, gestiegene Einkommen und eine merkliche Aufwertung der D-Mark verstärkt. „In den ersten Monaten des Jahres 1991 lockerte sich das Kapitalmarktklima spürbar auf“, stellt die Notenbank fest.
Das im letzten Jahr auf 90 Milliarden D-Mark ausgeweitete Staatsdefizit nimmt die Bundesbank noch einmal zum Anlaß, um die Ausgabenpolitik der westdeutschen Gebietskörperschaften zu geißeln. „Angesichts der angespannten konjunkturellen Situation und im Hinblick auf das Erfordernis, mehr Ressourcen für Ostdeutschland einzusetzen, wäre Zurückhaltung angezeigt gewesen“, kritisiert sie. Am stärksten erhöhten sich die Ausgaben der Gemeinden mit acht Prozent.
Die Einführung der D-Mark in der ehemaligen DDR sieht die Bundesbank im Rückblick relativ problemlos: Aus der Währungsumstellung seien keine unkalkulierbaren Risiken für die Stabilität der D-Mark entstanden. Im Februar habe die gesamtdeutsche Geldmenge ihren westdeutschen Stand vor Jahresfrist um rund ein Fünftel übertroffen. Die Bundesbank will einerseits die nötige Korrektur der reichlichen Versorgung nicht durch Kürzung der Geldmenge erzwingen. Andererseits will sie die Inflationsrisiken eingrenzen. Dazu passe eine Geldmengenausweitung im unteren Bereich des Zielkorridors von vier bis sechs Prozent.
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