: IWF und Deutschbankier: Ostaufschwung kommt 92
■ Christians sieht Entkopplung von Konjunktur und Beschäftigung
Berlin/Washington (taz/dpa/ap) — Der Internationale Währungsfonds (IWF) und Wilhelm Christians, der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Deutschen Bank, sind optimistischer als die Bundesbank (siehe Bericht unten): IWF wie Christians sehen für das kommende Jahr bereits eine wirtschaftliche Erholung in Ostdeutschland. Ähnliches hatte auch Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann in den letzten Tagen wiederholt behauptet, während einige Wirtschaftsforschungsinstitute inzwischen ganz vorsichtig geworden sind und nurmehr Anzeichen dafür sehen, daß sich eine Verlangsamung der Talfahrt ankündigt (taz vom 25.4.).
Aus einer am Mittwoch in Washington vorgelegten Studie des IWF geht indes hervor, daß es in Ostdeutschland bereits 1992 einen ersten wirtschaftlichen Aufschwung geben könne — Zahlen zu nennen, wollten sich die ExpertInnen aber nicht trauen. Das Wirtschaftswachstum in Westdeutschland werde sich auf 2,8 Prozent in diesem Jahr und nur noch 1,9 Prozent im folgenden Jahr belaufen.
Deutschbankier Christians geht noch weiter: 1992 werde das erste echte Aufschwungjahr in Ostdeutschland sein, sagte er am Donnerstag beim 10. Wirtschaftspolitischen Unternehmergespräch des Axel-Springer-Verlages in Berlin. Der Abbau der Arbeitslosigkeit werde sich jedoch nicht im gleichen Ausmaß wie der Aufschwung vollziehen.
Christians sagte, beim Aufbau in den neuen Bundesländern vollziehe sich eine Abkopplung der Arbeitsmarktentwicklung vom Wirtschaftswachstum. In zehn Jahren werde der Kapitalstock in Ostdeutschland im Schnitt jünger, intensiver und technologisch effizienter sein als in Westdeutschland. Dies bedeute jedoch, daß sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit voraussichtlich auf längere Sicht vollziehe, da die konjunkturelle Dynamik und damit der Erfolg der Aufbaubemühungen nicht voll zur Geltung kommen könnten.
Auch dem Einsatz klassischer Instrumente zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, wie etwa der Zinspolitik zur Konjunkturankurbelung, sei in Ostdeutschland wohl geringerer Erfolg beschieden. Dies könne dazu führen, daß mit zunehmender Effizienz der Marktwirtschaft die Arbeitslosigkeit im Bewußtsein der Menschen zu einem wachsenden Problem werde.
Die Zinsen allerdings werden alsbald ohnhin nicht gesenkt, obwohl der IWF und vor allem die USA das gerne sähen. Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl sagte in der 'Financial Times‘ vom Donnerstag: „Andere Länder, besonders die im europäischen Währungssystem, nutzen die relative Schwäche der D-Mark aus und senken ihre Zinsen, ohne daß wir das tun müssen.“ Washington will mit dem Aufruf zu Zinssenkungen das Risiko einer weltweiten Rezession mindern; in Teilbereichen der deutschen Wirtschaft erwartet Pöhl dagegen eine Überhitzung. diba
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