INTERVIEW
: „Ich bin kein Prophet“

■ Umweltforscher von Weizsäcker hält neue AKWs für überflüssig/ Mit ständig steigenden Energiepreisen in eine umweltverträgliche Zukunft

Seit 1984 ist Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik in Bonn. Zuvor war er Präsident der Gesamthochschule Kassel und gehörte Anfang des Jahres dem Schattenkabinett des neuen hessischen Ministerpräsidenten Eichel an. Mitte Mai wird er als Präsident des neuen Instituts für Klima-Umwelt-Energie des Wissenschaftszentrums Nordrhein-Westfalen nach Wuppertal gehen.

taz: Herr von Weizsäcker, nach Ihrer Meinung brauchen wir keinen Atomstrom, aber wir haben ihn und nutzen ihn.

Ernst U. von Weizsäcker: Meine Hauptaussage ist, wir brauchen keine zusätzlichen Atomkraftwerke. Ich habe nicht gesagt, daß wir einen Sofortausstieg machen sollen, sondern, da haben Sie in gewisser Weise recht, wenn man die Atomkraftwerke hat, und man einigermaßen garantieren kann, daß sie nicht explodieren, dann ist es vermutlich eine rationale Politik, sie auf allerhöchstem Sicherheitsniveau weiterzubetreiben.

Sie sagen also, wir brauchen keine zusätzlichen Atomkraftwerke. Dann sind Sie auch gegen den Bau der zwei in den neuen Bundesländern geplanten AKWs?

Ja, diese zwei Atomkraftwerke würden natürlich viel Geld kosten. Dieses Geld sollte lieber in die Umstrukturierung der neuen Bundesländer investiert und für eine energieeffiziente Wirtschaft und Energiesparkultur ausgegeben werden.

Noch ist nicht entschieden, ob in Greifswald und Stendal neue AKWs entstehen. Die Energiekonzerne haben ihre Entscheidung von der Zustimmung der SPD abhängig gemacht. Sie wollen also nur dann bauen, wenn darüber ein energiepolitischer Konsens besteht. Das ist doch eigentlich die Chance für die SPD, die Atompolitik in der Bundesrepublik zu bestimmen.

So wie ich die bundespolitische Entwicklung einschätze, vor allem nach der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, vermute ich, daß diese Atomkraftwerke nicht gebaut werden. Irgendwann wird man feststellen, daß in Europa Überkapazität vorhanden ist, und daß diese beiden AKWs sowieso nicht benötigt werden.

Werden diese AKWs aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht gebaut werden?

Wenn sie nicht gebaut werden, dann wohl aus politischen Gründen, die sich aber wirtschaftlich gut rechtfertigen lassen.

Warum hält sich die SPD eigentlich nach dem Angebot der Atombranche so bedeckt?

Eine parteipolitische Frage stellen Sie bitte an Parteipolitiker. Ich kann nur sagen, ich unterstütze diejenigen Parteien, die sagen, wir bauen diese Atomkraftwerke nicht.

Glauben Sie, daß die Energiekonzerne wirklich auf Atomstrom verzichten wollen oder pokern sie nur?

Das weiß ich nicht, fragen Sie die Stromkonzerne. Für die Stromindustrie ist es natürlich sehr angenehm und wirtschaftlich, die Grundlast mit Strom aus Atomkraft oder Braunkohle abzusichern, und dann nur noch die Spitzenlast mit Öl oder Gas zu bestreiten.

Atomstrom, Steinkohle und Braunkohle sind ökologisch gesehen ziemlich problematische Energieträger. Aber betriebswirtschaftlich ist diese Entscheidung rational. Nur wenn man insgesamt den Bedarf ganz wesentlich reduziert, hat man auch eine sehr viel geringere Grundlast.

Mit welchen Energieträgern soll die Grundlast künftig gesichert werden?

Ich glaube, daß sich die Grundlast längerfristig auf ein Drittel reduzieren ließe. Bei dem Rest ist dann eine Kombination aus Wasserkraft, Biomasse, geotermischer Energie und vielleicht unterirdisch produzierter Atomstrom das beste.

Wann ist nach Ihrer Ansicht der endgültige Ausstieg aus der Atomenergie möglich?

Ich bin kein Prophet. Gegenwärtig findet auf der Welt ein Ausbau der Atomenergie, nicht aber ein Ausstieg statt, besonders in Japan. Wenn zu viel Strom angeboten wird, wird er auch verwendet. Dann glaubt man, es gebe entsprechenden Bedarf. Und dann wird der Ausstieg wieder schwieriger.

Was müßte man denn für den Ausstieg tun?

Man muß heute investieren, technologisch, infrastrukturell und, wenn man das Wort verwenden darf, auch kulturell, um in einen Niedrig- Energie-Wohlstand hineinzukommen. Das bedeutet mehr Komfort, mehr Annehmlichkeiten, mehr Lebensqualität mit nur noch der Hälfte oder einem Drittel des Energie-Inputs, den wir heute haben.

Dazu wird der Energiepreis steigen müssen.

Richtig.

Wann rentiert sich nach Ihrer Rechnung ein höherer Energiepreis?

Volkswirtschaftlich schon heute. Man muß die Anhebung der Energiepreise über eine aufkommensneutrale Steuerreform aber langsam genug machen, damit es keine Investitionsruinen gibt. Vielleicht fünf Prozent Erhöhung real pro Jahr, dieses aber vorhersehbar und fest geplant für rund 30 Jahre. Dann rentiert sich die Energieeffizierung von Jahr zu Jahr mehr, und zwar betriebswirtschaftlich. Nach zwei bis drei Jahrzehnten werden alle Leute verwundert feststellen: Wir sind nicht nur umweltverträglich, sondern sogar reicher geworden.

Aber wenn die Menschen in den neuen Bundesländern jetzt schon erheblich mehr für Energie zahlen müssen als vor der Wende, was meinen Sie, wie sie auf weitere Preiserhöhungen reagieren?

Die ostdeutschen Energiepreise waren grotesk niedrig. Damit ist das Energiesparen abgewürgt worden. Nicht mal Heizungsventile gab es. Und viel zu viele Kraftwerke. Die AKWs hat ja Herr Minister Töpfer bereits stillgelegt. Jetzt kommt endlich mehr Vernunft in die Energiepreise. Wo das zu unakzeptablen sozialen Belastungen in der Übergangszeit führt, muß sozialpolitisch kompensiert werden. Auf die Zukunft bezogen ist aber das, was ich vorschlage, so vorsichtig dimensioniert, daß der technische und infrastrukturelle Fortschritt mit der Verbesserung der Energie schritthalten kann, so daß es kaum zu sozialen Verwerfungen kommen würde.

Sie wollen also auch die Hersteller in die Mangel nehmen, daß die schon von vornherein energiesparende Geräte und Anlagen anbieten.

Ich will niemanden in die Mangel nehmen. Ich will den Markt so verändern, daß derjenige, der sich als Geräteanbieter oder Gerätenutzer naturverträglich verhält, wirtschaftlich besser fährt als derjenige, der weiterhin ökologischen Raubbau betreibt.

Was heißt naturverträglich?

Naturverträglich ist, wenn pro Auto-Kilometer nur noch ein Drittel des gegenwärtigen Sprits verbraucht wird. Oder wenn wir nur noch halb soviel Kilowattstunden für die Beleuchtung brauchen.

Ist nicht durch den Stromvertrag mit der damaligen DDR die einmalige Chance für eine Energiespar- Wirtschaft vertan worden?

Ich halte den Stromvertrag für verkehrt. Für die Regierung de Maizière war er natürlich ein Geschenk des Himmels: eine akute Sorge weniger. Aber der Vertrag macht die Entwicklung einer energieeffizienten, weitgehend von den Kommunen ausgehenden Energieversorgung fast unmöglich. Kraft-Wärme-Kopplung, dezentrale Sonnen-, Wind- und Wasserenergie, Einsparprogramme und so weiter liegen nicht im unmittelbaren Geschäftsinteresse der drei großen Energiekonzerne.

Gemessen an Ihren Vorstellungen sind bei der Vereinigung also viele Chancen für eine naturverträgliche Energieerzeugung und -verwertung verspielt worden.

Ich hatte viele schöne Träume, was besser sein könnte. Aber jederzeit ist die Gesellschaft und unsere Wirtschaft in der Lage, noch etwas dazuzulernen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Interview: Bärbel Petersen