piwik no script img

Neues aus Priamos Schatztruhe

■ Ein vorläufiger Frontbericht über Schätze, Räuber und Gelehrte41·e von Anita Kugler

Paidos«, rief Heinrich Schliemann am 17. Juni 1873 in Troja, es ist »Ruhezeit«. Den jahrelang in Kleinasien gesuchten Schatz des sagenhaften Königs Priamos, wollte Schliemann lieber ohne Wissen der türkischen Grabungsarbeiter bergen und diskret beiseite schaffen. Ehefrau Sophia packte den Schatz, darunter pfundschwere Gefäße aus Gold, Silber, Bronze, sowie Halsbänder aus Hunderten von Goldringchen, Stirnreifen, Ohrgehänge und Armbänder in einen Schal und beide trugen ihn heimlich weg. Vier Jahre später war der Kunstraub in Berlin zu besichtigen. »Zu ewigen Besitz und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt« schenkte Schliemann den Schatz »dem deutschen Volk«. Es war ein Diebstahl, gemildert allerdings durch Schliemanns Entschädigungszahlung von 50.000 France an die türkische Regierung.

1945 wurde der Schatz des Priamos zum zweitenmal gestohlen. Von wem aber, das war jahrzehntelang die große Frage. Von amerikanischen Kunstoffizieren im Auftrag der Regierung oder von profitsüchtigen GIs? Von hohen Nazis, die sich mit dem Schatz die Entnazifizierung erkaufen wollen? Von deutschen Museumsbeamten, die gegen Gold später Museumsleiter wurden? Oder von Rotarmisten, die die Kostbarkeiten als Pfand für Reparationsleistungen in die Sowjetunion schafften? Für jeden Räuber sprachen Indizien. Jetzt ist die Kunstwelt wieder ins Fiebern geraten und alte Hypthesen werden auf den Müll geworfen.

»Der Schatz des Priamos ist in Moskau« und zwar in den Kellern des Puschkin-Museums, erklärte vergangenen Sonntag der 34jährige Lehrbeauftragte an der Lomonossow Universität, Alexej Rastorgujew, vor laufenden Kameras der ARD. Er habe ihn zwar selber noch nicht gesehen, kann sich aber auf sichere Quellen und Zeugen berufen. Nicht nur der Schatz von Troja befände sich in Moskau, sagte er, sondern verteilt über Museen in der ganzen Sowjetunion unermeßlich viele Kleinodien, »deren Wert sich in keinem auch nur annähernd realen Geldbetrag ausdrücken läßt«. Unter den gehorteten Schätzen seien die 490 Gemälde von holländischen Meistern, die die Nazis dem Rotterdamer Boymanns Museum abpreßten, die 300 nach Ostdeutschland verlagerten Bilder der Bremer Kunsthalle, darunter Handzeichnungen von Dürer, Teile der Siemens Bildersammlung mit Werken von Daumier, Degas, Goya, Manet und anderen, 40 Rembrandts aus der Guttmann Sammlung und Aberdutzende von Alten Meistern aus den Gemäldesammlungen der staatlichen Berliner Gemäldegalerie, der Nationalgalerie.

Klaus Goldmann, Oberkustos am Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte, vermutet schon seit langem angeblich im Krieg verschollene oder verbrannte Kunstschätze in der Sowjetunion. Nicht überzeugt hingegen ist er, daß der Schatz des Priamos wirklich im Geheimdepot des Puschkin-Museums ruht. »Ich glaub' das erst, wenn ich Originalfotos oder den Schatz in der Hand halte«, sagt Goldmann. Zu oft schon sei er enttäuscht worden. Seit 1971 ist Goldmann beamteter Schatzsucher, seine Recherchen führten ihn in westelbische Kalibergwerke, nach Polen, nach Amerika und oft auch in die Sowjetunion. 1941, erzählt er, wurde der Troja- Schatz vom Gropius-Museum aus Angst vor britischen Bombern, in Tresorräume der Preußischen Seehandlung geschafft. Einige Monate später schien auch dieser Aufbewahrungsort zu unsicher, der Gral wurde, zusammen mit dem Goldschatz von Eberswalde und dem sogenannten Holmschatz aus dem 11. Jahrhundert in den Flakturm am Bahnhof Zoo eingebunkert. Seitdem verlieren sich alle Spuren. »Es ist wie ein Vexierbild«, sagt er, das einzig sichere Zeichen, daß es den Schatz wirklich im Hochbunker am Zoo gegeben hat, seien die Inventarlisten, erstellt für eine Evakuierung in den Westen.

Aber warum wurde das Gold, wie andere Kunstwerke aus dem anderen berühmten Depot, dem Flakturm Friedrichshain, 1945 nicht abtransportiert? Stimmen wirklich die Angaben der Ehefrau des damaligen Direktors des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Wilhelm Unverzagt, die behauptet, daß ihr Mann die Kunstschätze »loyal der Obhut der sowjetischen Militärführung« anvertraut hat? Unverzagt selber kann dazu nichts mehr sagen, er ist 1971 gestorben. Für ganz abwegig hält Goldmann auch noch nicht seine alte These, daß der Schatz des Priamos Tage vor dem Einmarsch der Roten Armee heimlich in den Westen geschafft wurde und seitdem in einem westdeutschen Tresor schlummert. Denn vor einigen Jahren tauchte im Mainzer Museum eine Schmucknachbildung auf, die nur nach einem modernen Farbfoto hergestellt werden konnte. Andere Indizien, über die Goldmann partout kein Wort verlieren will, weisen neuerdings auch wieder nach Amerika.

Die Nachricht aber, daß der lang gesuchte Schatz nun doch in Moskau liegen soll, hat Goldmann, trotz aller Zweifel elektrisiert. Nicht erst seit dem ARD-Beitrag vom 21. April mit dem spektakulären Enthüllungsauftritt von Alexej Rastorgujew, sondern schon seit Erscheinen der Aprilnummer des amerikanischen Kunstmagazins 'Art News‘. In einem Aufsatz von Konstantin Akinsha, Moskauer Korrespondent des Journals und Gregor Kozlov, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Puschkin-Museums, berichten die beiden Anfang April erstmals detailliert über den Abtransport des Schatzes aus Berlin, sowie über das Schicksal anderer deutscher Kunstwerke in Moskau. Nazi art loot discovered in Russia überschlagzeilte die Tageszeitung 'Oberserver‘ die Recherchen der beiden Kunstwissenschaftler.

Unmittelbar nach diesen sensationellen Berichten aus den Staaten mobilisierte Goldmann seine beiden Kollegen Günter Wermusch und Armin Jähne. Der eine ist Chef des neugegründeten Vereins »Missing Art of Europe« der andere ist Althistoriker an der Humboldt-Universität. Am Mittwoch vor Ostern fuhr das Triumvirat nach Moskau um Alexej Rastorgujew zu sprechen und Spuren des Goldes zu finden. Und wieder war die Suche erfolglos. Rastorgujew, hatte zwar eben seine Erkenntnisse über 1945 in Berlin abtransportierte Kunstschätze in der Regierungszeitung 'Iswestija‘ ausgebreitet, aber von Angesicht zu Angesicht mit den westlichen Experten wollte er nicht bestätigen, daß der Schatz des Priamos nun wirklich im Puschkin-Museum lagert. Er wisse zwar sicher, daß der Schatz in der Sowjetunion sei, sagte der russische Wissenschaftler, aber ganz bestimmt nicht in den geheimen Depots des Museums. Wieso Rastorgujew knapp 14 Tage später gegenüber dem ARD-Journalisten und ausgewiesenen Kunstraubexperten Ralf Quibeldey den Lagerungsort Puschkin Museum angab, kann sich Goldmann nicht erklären. »Vielleicht mußte er sich schützen«, vermutet er, »vielleicht wurde mit Absicht eine falsche Spur gelegt«. Vielleicht aber auch, meint Goldmann, dies allerdings sehr skeptisch, »sind wir Kollegen getäuscht worden«.

Auch wenn Goldmanns Suche nach dem Gral in Moskau vorerst erfolglos war, umsonst war die Reise nicht. Goldmann und seine Kollegen haben mit eigenen Augen gesehen, was der Journalist Eugen Kusmin wenige Tage vor dem deutschen Besuch in der angesehenen Moskauer Literaturzeitschrift 'Literaturnaja Gazeta‘ mit Dokumenten belegt hat. Millionen von Büchern, Zeitschriften und Archivalien seien zwischen 1944 und 1949 katalogisiert, aus deutschen Bibliotheken und Archiven abgeschleppt und auf sowjetische Bibliotheken verteilt worden. Die staunenden deutschen Wissenschaftler wurden in die Moskauer St. Anna Kirche geführt, wo Hunderttausende von Büchern verrotten. Goldmann ist überzeugt, daß unter diesem Bestand auch die schmerzlich vermißte Bibliothek des Völkerkundemuseums zu finden sei.

Bisher hat die sowjetische Regierung weder die Existenz der inzwischen bereits abgefilmten Bücher, noch die Verwahrung der aus Deutschland abtransportierten Gemälde und Handschriften bestätigt. Erst recht nicht die Rastorgujew-Behauptung, daß der Schatz des Priamos im Puschkin-Museum verwahrt wird. Die Aufregung auf dem internationalen Kunstmarkt und die vielen Veröffentlichungen zu diesem Thema bringt die Regierung allerdings in Zugzwang. Denn im Artikel 16 des im vorigen Jahr ausgehandelten deutsch-sowjetischen Freundschaftsvertrages stimmen Bonn und Moskau darin überein, »daß verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze zurückgegeben werden«. Der Passus wird auch deutsche Museen in Verlegenheit bringen. Im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte stehen beispielsweise Preziosen, die SS-Leute in Rußland gestohlen und über Mittelsmänner Jahre nach dem Krieg dem Museum verkauft haben. Mit dem Wert des Priamos-Schatzes sind sie allerdings nicht zu vergleichen.

Und gerade weil dieser Schatz so wertvoll ist, wird, unter den Voraussetzungen, daß das Gold in Moskau ist und wirklich zurückgegeben wird, neuer Ärger auf das Museum für Vor- und Frühgeschichte zukommen. Geklärt werden muß dann nämlich, wem der Gral gehört. Der heutige Grabungsleiter in Troja, der Tübinger Prähistoriker Manfred Korfmann ist der Ansicht, daß es moralische Pflicht wäre die Zeugnisse trojanischer Kultur an ihr Ursprungsland, jetzt Türkei, zurückzugeben. Eine Ansicht, die Goldmann ganz und gar nicht teilt und die er auf einem Schliemann- Kongreß in Neapel derzeit verteidigt. Schliemanns Schuld, sagt er, sei durch die Entschädigungszahlungen von 1875 gesühnt. »Und obendrein sei es völlig aberwitzig, Gold, daß es noch gar nicht gibt, auf einem Silbertablett der Türkei anzubieten«. Anita Kugler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen