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Bomben im Schuh

■ Am Rande des Golfkrieges. Eine Geschichte aus Berlin-Lichtenrade. Von Ursula März

Am 11. Tag des Golfkrieges verfiel Uwe Dregwitz auf die Idee, sich auf seine Weise eine Scheibe von der Weltstimmung abzuschneiden. Er bastelte als Privatperson Bomben, die er als Wachmann fand und als Held der Polizei meldete. Da es der Polizei leichtfiel, das Rollenspiel zu durchschauen und die Gebilde aus Digitalweckern, Draht und Knetmasse als Amateurhandwerk zu identifizieren, stand Uwe Dregwitz am 13. Tag des Golfkrieges nicht wie ein Held da, sondern wie ein Dussel, und seine Geschichte schmolz auf eine Miniatur-Schwejkiade im Polizeibericht zusammen.

Uwe Dregwitz war bei einer Privatdetektei angestellt und von dieser an die Woolworth-Filiale in der Lichtenrader Bahnhofstraße vermittelt, wo er von Ladenschluß bis Ladenöffnung, also 15 Stunden lang, die ungestörte Nachtruhe von Wühltischen und Kleiderständern behütete. Normalerweise hockte er die ersten Stunden der Schicht in der Fernsehabteilung und taperte während der restlichen um die Regale, machte Rast bei den Sweatshirts mit Kapuze im Sonderangebot und studierte im funzeligen Schein der Nachtbeleuchtung die Anwendungsweise einer Haarkur.

In seiner Phantasie spielen entscheidende und einschneidende Taten eine große Rolle; Handlungen, die Gewicht haben und Wirkung, die unter besonderen Umständen stattfinden und möglichst im Klima des Gefährlichen. Das brachte ihn zu einer achtmonatigen Detektivausbildung und auch zu der Erfindung seiner Bomben-Geschichte. In gewisser Weise fühlt er sich auch von Natur aus zu Geschichten größeren, nicht alltäglichen Formats berufen und weist beständig darauf hin, wie überdurchschnittlich allein schon seine äußere Erscheinung sei.

Uwe Dregwitz ist ähnlich proportioniert wie Arnold Schwarzenegger. Er sitzt mit dem Stolz eines Kleinsparers, der soeben sein Eigenheim bezogen hat, in seinen Muskeln. In seiner auf der verläßlichen Reaktion dieser Muskeln aufgebauten Lebensphilosophie hat „Straßenkampf“, sein Spezialgebiet, das Prestige einer beliebigen Sportart; wie Karate, Catchen oder Fußball oder, sagt er, auch Golf. Wie es den Schleswig-Holsteiner in der Freizeit zum Golfplatz zieht, so eben Dregwitz auf die Straße.

Über die jeweilige Route des Rowdy- und Randale-Tourismus zwischen den Berliner Bezirken ist Dregwitz auf dem laufenden; aber er legt Wert darauf, keiner der Gangs und Gruppen anzugehören, deren Sebstbezeichnungsdickicht für Außenstehende undurchdringlich gewesen ist. Er ist überzeugter Einzelkämpfer. Er hat wohl auch das Gefühl, mit einem Gruppenbeitritt sein endgültiges Jawort zu einer reinen Schlägerexistenz zu geben. Der Detektiv wäre dann ausgeräumt. Er müßte wohl auch aus seinem Muskelstolz den noch spürbaren Rest Traurigkeit über das Schicksal verdrängen, das ein solch massiger Körper bedeutet.

Diese Kraftmenge, die ihm permanent unentgeltlich zur Verfügung steht, ist wie ein Auftrag. Setzte er sie nicht ein, fiele er in den Augen Lichtenrades unter Niveau. Uwe Dregwitz geht es, was seine Erscheinung betrifft, wie einem schönen, jungen, hageren Mann, der im entscheidenden Moment sich fragen lassen muß, ob er nicht auch Klavier spielen kann.

Uwe Dregwitz war als ausgebildeter Privatdetektiv mit 22 Jahren auf dem absteigenden Ast. Zwar hatte er einmal auf einer Ausfallstraße vor Ingolstadt 72 Stunden lang, im Auto sitzend und am Rande einer Koffeinvergiftung, einem Steuersünder aufzulauern, den die Konkurrenzfirma zu Fall bringen wollte. Aber von dem Ingolstädter Job aus ging es nicht weiter ins Internationale, sondern zurück nach Lichtenrade. Uwe Dregwitz fing wegen der Spesenabrechnung eine Schlägerei mit seinem Chef an. Der schätzte die professionell verwertbare Angriffslust seines Angestellten, aber er verlor, als sie sich jählings gegen ihn richtete, die Hoffnung, daß Dregwitz es außerdem jemals zu der kontrollierenden Urteilskraft bringen könne, die das Austeilen von Kinnhaken wie eine Ampelanlage regelt.

Uwe Dregwitz kam zu einer neuen Privatdetektei und durch diese zu Woolworth; nachts als Wachmann, tags als Kaufhausdetektiv. Bei seinen Tageseinsätzen ließ er im vergangenen Januar Erfolge vermissen. Erfolge sind, im Jargon der privaten Schmieresteher und Pseudopolizisten, „Uffgriffe“ vermeintlicher und wirklicher Ladendiebe. Von seinem Auftraggeber wegen des niedrigen Kontostandes seiner täglichen „Uffgriffe“ unter Druck gebracht, bastelte sich Uwe Dregwitz Erfolg in Form von Bomben.

Wie jede andere der Öffentlichkeit preisgegebene Lokalität der westlichen Welt, konnte auch Woolworth in Lichtenrade den Verdacht auf sich ziehen, ein arabisches Bombennest zu sein.

Am Abend des 26.Januar alarmierte Dregwitz um 18.45 Uhr den Geschäftsführer Burckhardt, und dieser um 18.55 Uhr die Polizei. Kurz nach 19 Uhr traf ein Streifenwagen bei Woolworth ein und eine halbe Stunde später zwei polizeiinterne, „Entschärfer“ genannte Sprengstoffexperten, da weder der Geschäftsführer noch die Streifenpolizisten inmitten des Golfkriegs die Verantwortung für das Öffnen und Behandeln zweier brauner DIN-A-3-Umschläge übernehmen wollten, die ihnen Uwe Dregwitz zwischen den Konfektionswaren zeigte. In den Tüten fanden die Entschärfer Kleinkram aus der Spielwarenabteilung. Der Geschäftsführer lachte erleichtert, da sein Kaufhaus erwiesenermaßen einem Scherzbold in die Hände gefallen war und nicht einem Terroristen. In Uwe Dregwitz' Seele kam dieses Gelächter sehr schlecht an. Als heimlicher Bombenbastler fühlte er sich gedemütigt und als offizieller Bombenfinder um Respekt gebracht.

Nach dem Abzug der Polizei umrundete er in Schlangenlinien die Regale und sagte sich, daß er wieder einmal überstürzt und reflexhaft statt besonnen und strategisch gehandelt und über dem voreilenden Erfolgsgefühl die kleinen technischen Details vernachlässigt habe. Also nahm er all sein Wissen über Bombenbau aus der Detektivausbildung zusammen und ließ sich Zeit. Bastelarbeit mit Feingefühl ist Uwe Dregwitz' Sache nicht. Er läßt, wie er so sagt, die Fäuste sprechen, wenn es darauf ankommt und wenn die Gelegenheit sich bietet. Ist nichts im Angebot und weit und breit auf den leergefegten Straßen an einem Lichtenrader Samstag nicht der kleinste Neonazi- Trupp zu entdecken oder wenigstens ein punkiger Abiturient zur Hand, kümmert sich Dregwitz auch schon mal ein wenig um die Nachfrage. Es reicht, die Bahnhofstraße runterzulatschen mit einem Gang, der sich der Vorstellung verdankt, daß zwischen Lichtenrade und der Bronx eine heimliche Städtepartnerschaft besteht, beim Döner-Kebap-Stand zu halten, zwei, drei Türken abzuwarten und ein wenig pikiert mit der Nase zu schnüffeln.

Uwe Dregwitz schwört, daß er sich nur prügelt, wenn er angegriffen wird und sich verteidigen muß. Aber da in seinen Kreisen „blöd glotzen“ bekanntermaßen bereits einen aggressiven Akt darstellt und Uwe Dregwitz auf seine Umwelt empfindlich reagiert wie eine Sensortaste, läßt seine Verteidigungsregel viel Spielraum.

Um 23.30 Uhr machte er zum zweiten Mal Meldung. Der Auftritt vom frühen Abend wiederholte sich. Dem Geschäftsführer Burckhardt verging jedoch das Lachen. Auf der Stelle habe er, so Burckhardt, seine Familie, die über den Woolworth-Geschäftsräumen wohnt, „evakuiert“. Vorsichtig wie ein Neugeborenes trugen die Entschärfer aus dem Laden, was Uwe Dregwitz, der vom harmlosem Augenschein der DIN- A-3-Tüten von Anfang an unbeeindruckt gewesen sein wollte, in Damenpumps fand: zwei Digitalwecker, die durch ein Stück Draht mit undefinierbarer Masse verbunden waren. Die Zutaten der „Sprengstoffattrappen“ stammen allesamt, das ergaben die Ermittlungen der Polizei in den folgenden 48 Stunden, aus dem Warenbestand der Kaufhauskette Woolworth.

Prinzipiell glaubt Uwe Dregwitz, daß seine Idee, als Wachmann Bomben zu machen und zu finden, hätte funktionieren können. Inzwischen ist ihm jedoch klar, daß er nie und nimmer das Material für die Attrappen aus den Regalen von Woolworth hätte nehmen dürfen, da ein authentischer palästinensischer oder sonstwie arabischer Attentäter sich ja auch nicht vorher die Hände als Ladendieb schmutzig gemacht hätte.

Bei der Staatsanwaltschaft Berlin ist noch nicht entschieden, ob Uwe Dregwitz* ein Verfahren wegen „Vortäuschen einer Straftat“ angehängt wird.

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