: Endzeitstimmung um Michel Rocard
In Frankreichs Regierungspartei gärt es, und ein Richter aus der Provinz sorgt für Aufregung ■ Aus Paris Bettina Kaps
Für Frankreichs Regierungschef Michel Rocard ist es mit dem innenpolitischen Frieden, den Krise und Krieg am Golf dem Land beschert hatten, vorbei. Mit dem Waffenstillstand im Nahen Osten ist auf der Pariser Politbühne der Kleinkrieg ausgebrochen. Die Sozialisten reden das Ende von Rocards Amtszeit herbei. Die Regierung versucht tölpelhaft, die Parteispendenaffäre zu begraben, die einer Hydra gleich mit immer neuen Köpfen auflebt. Die Opposition bringt sich vor allem durch Mißtrauensvoten ins Gerede, fordert vergeblich Ministerköpfe und drängt auf Neuwahlen.
Mitterrand hält sich bislang vornehm aus der Innenpolitik heraus. Unterdessen gärt es in seiner Partei. Drei Jahre Premierminister Rocard sind manchem ehrgeizigen Sozialisten lang genug. „Für Rocard ist der Zeitpunkt gekommen, sich zu fragen, ob er nützlicher ist, wenn er bleibt oder wenn er Abstand nimmt“, sagte der beigeordnete Justizminister Georges Kiejman am Wochenende; er selbst wäre über eine neue Mannschaft „recht zufrieden“.
Angriff ist die beste Verteidigung, lautet offenbar Kiejmans Devise. Denn im Kreuzfeuer der allgemeinen Kritik steht nicht Rocard, sondern er selbst, zusammen mit seinem Kollegen, Justizminister Henri Nallet. Mehr als viele andere verkörpern diese beiden Politiker die Parteispendenaffäre, die vor allem die Sozialistische Partei (PS) wie eine scheppernde Blechdose hinter sich herzieht — obwohl sich alle Parteien illegal Geld beschafft haben. Nallet war 1988 Schatzmeister der Präsidentschaftswahlkampagne von Mitterrand; Kiejman, ein Vertrauter von Mitterrand, war Anwalt eines der Angeklagten.
Vor genau zwei Jahren wurde offenbar, daß sich die PS illegal über ein sogenanntes Konstruktionsbüro der Firma Urbatechnic finanzierte. Die Beweise hatte der eifrige Polizeiinspektor Antoine Gaudino sichergestellt. Ein Direktor von Urbatechnic sagte vor dem Untersuchungsrichter: „Unsere Gesellschaft wurde gegründet, um die Geldkanäle reinzuwaschen, die die PS versorgen.“ Der Generaldirektor der Firma SormaeMAE erklärte das Prinzip der Geldbeschaffung: „Im Bausektor erlangt man sehr oft einen Markt, indem man den Entscheidungsträgern Vorteile gewährt. Diese Vorteile bestehen entweder in Form von Bargeld oder aber in Form von Rechnungen für nicht gerechtfertigte Leistungen, die von Konstruktionsbüros ausgestellt werden.“ Die „falschen Rechnungen“ beliefen sich stets auf ein bis drei Prozent der Gesamtkosten des jeweiligen Bauvorhabens. Der Firmenchef beschuldigte 23 Politiker aller Richtungen; die Sozialistische und die Kommunistische Partei hätten Konstruktionsbüros (wie Urbatechnic) als Geldwaschanlagen genutzt, die rechten Parteien bedienten sich bei Marktforschungs- oder Kommunikationsbüros.
Um die schmutzige Wäsche aus der Welt zu schaffen, beschloß die PS eine Amnestie und ein Gesetz, das die Finanzierung der Parteien und Wahlkämpfe ein für allemal regeln sollte. Durch ihre Enthaltung und vereinzelte Ja-Stimmen machte die konservative Opposition die Verabschiedung der Amnestie im Januar 1990 möglich. Die Parteien sind nun vor Verfolgung geschützt, nicht jedoch die Zwischenhändler, sofern ihnen Korruption oder persönliche Bereicherung nachgewiesen werden kann.
Gaudino wurde versetzt, ließ sich jedoch nicht abschütteln: Im Oktober veröffentlichte er seine Erfahrungen mit der Politik unter dem Titel „Die unmögliche Fahndung“; es wurde ein Bestseller. Das Buch erschien zudem eine Woche nach der Ernennung von Nallet zum Justizminister. Die Opposition warf Nallet vor, in Sachen Parteispenden sei er zugleich „Richter und Partei“. Als weiteren Skandal empfanden die Franzosen, daß Gaudino im März von Innenminister Marchand gefeuert wurde, weil er mit seinem Buch das Berufsgeheimnis verletzt und durch „maßlose Kritik an der Hierarchie die Demokratie aus dem Gleichgewicht gebracht“ habe.
Für die Fortsetzungsgeschichte im April sorgte ein Untersuchungsrichter aus Le Mans: Thierry Jean- Pierre, eigentlich mit einem Arbeitsunfall beschäftigt, weitete den Fall aus und ermittelte in Sachen „falscher Rechnungen“ gegen die Firma Urbatechnic. Dem Gerichtspräsidenten war Jean-Pierre zu eigenmächtig. Offenbar nach Rücksprache mit dem Justizministerium entzog er ihm den Fall. Eine Affäre machten daraus erst die Justizminister Nallet und Kiejman: Aufgeregt warfen sie Jean-Pierre „politische Manipulation“ und „richterlichen Einbruch“ vor und erzeugten erneut den Eindruck, daß die PS die Untersuchung verhindern will. Viele Franzosen sind inzwischen davon überzeugt, daß die französische Justiz die Mächtigen mit einem anderen Maß mißt als den normalen Bürger. Die Opposition reagierte mit einem (gescheiterten) Mißtrauensvotum wegen Knebelung der Justiz durch den Staat. Das Appellationsgericht von Angers erklärte am 19. April das Vorgehen des Untersuchungsrichters für „rechtskonform“ — das war eine Ohrfeige für die Justizminister und ein Beweis dafür, daß die französische Justiz nicht immer die Wünsche ihrer obersten Dienstherren befolgt.
Die PS versucht nun, zurückzuschießen und fragt die Opposition, wie sie denn ihre Wahlkämpfe finanziert habe. Doch die Franzosen konstatieren diese Entwicklung nur noch mit Abscheu, so als ob sich ein Protest gar nicht lohnen würde. Als sauber gelten heute einzig „Les Verts“ (die Grünen) und die rechtsradikale „Front National“. Deren Chef nutzt die Gelegenheit, die Scharte auszuwetzen, die er seiner Partei durch die Unterstützung Saddam Husseins während der Golfkrise zugefügt hat. Der sozialistische Staat sei „verfault“, die Regierenden seien „Lügner und Diebe“ eines „Mafia-Staates“, sagte Le Pen. Eine Ansicht, der rechte Demagoge weiß es, der nicht nur seine Parteigänger zustimmen.
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