: In Irland sind die Lichter ausgegangen
Der Streik der Stromgesellschaft sorgt für Chaos/ Nur die Kerzenhersteller haben Hochkonjunktur/ Das irische Parlament fordert die Streikenden einmütig auf, die Arbeit sofort wiederaufzunehmen ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Vor dem Schnellimbiß „Forte“ im Nord-Dubliner Stadtteil Phibsborough hat sich eine lange Schlange gebildet. Der Lichtschein aus dem Laden erhellt die Straße ein wenig. Ansonsten liegt der Stadtteil im Dunkeln. Das benachbarte Einkaufszentrum samt McDonald's und Kentucky Fried Chicken hat geschlossen. In Irland streiken seit Montag die Elektrizitätswerke.
Wie kommt es, daß „Forte“ Strom hat? „Genau hier beginnt eine neue Zone“, sagt der rundliche Inhaber fröhlich. „Wir hatten den ganzen Vormittag Stromsperre. Soll mir recht sein. Wer ißt schon zum Frühstück Fish and Chips?“
Die staatliche irische Stromgesellschaft ESB hat die Insel in sechs Zonen eingeteilt, denen abwechselnd für wenige Stunden Strom zugeteilt wird, da aufgrund des Streiks der ESB-Elektriker nur noch die Hälfte des normalerweise benötigten Stroms erzeugt wird. Die Wurzeln des Streiks gehen bereits auf das Jahr 1987 zurück. Damals forderten die Elektriker Lohnerhöhungen von 17,5 Prozent als Ausgleich für erhöhte Produktivität, machten jedoch gleichzeitig deutlich, daß sie kompromißbereit seien. Die Verhandlungen wurden dem internen ESB- Industrierat übertragen, der sich aus Mitgliedern der Gewerkschaften und des Managements zusammensetzt. Laut Angaben der Gewerkschaft zeichnete sich vor einem halben Jahr eine Lösung ab, doch plötzlich zog sich das Management vom Industrierat zurück. Als Begründung hieß es, dieses Gremium sei nicht kompetent, über Produktivität zu entscheiden.
Ende März rief die Gewerkschaft deshalb den Streik aus, setzte jedoch nochmals eine „Abkühlfrist“ von drei Wochen. Die ESB-Manager nahmen das offenbar nicht ernst. Noch am Montag verkündete das ESB, daß mit Stromsperren nicht zu rechnen sei. Am selben Tag schon wurde es von dem Ausmaß der Solidaritätsstreiks der ESB-Arbeiter aus anderen Sparten überrascht.
Der Streik hat das ganze Land in ein Chaos gestürzt. Ampelanlagen sind ausgefallen, die Straßenbeleuchtung brennt tagsüber, weil die Zeitschaltuhren aufgrund des Stromausfalls durcheinandergeraten sind; Bauern können ihre Rinderherden nicht melken, die Pumpen der Tankstellen funktionieren nicht, Bankautomaten, Fahrstühle, Kinos, Theater und Rundfunkanstalten sind ebenfalls betroffen. In den Kneipen wird bei Kerzenlicht Flaschenbier serviert — die modernen Zapfanlagen benötigen Strom. Viele Dörfer sind seit Montag gänzlich ohne Strom, weil die ESB-Arbeiter durchgebrannte Transformatoren nicht reparieren. Lediglich die Kerzenhersteller rieben sich die Hände. Die Großhandelskette „Punch“ setzte am ersten Streiktag Hunderttausende Kerzen ab und mußte Hilfskräfte einstellen. Manager Gerry Lawlor sagte: „Wir haben heute mehr Kerzen verkauft als sonst in einem Jahr.“
Der Streik hat für seltene Einmütigkeit im irischen Parlament gesorgt. Sämtliche Parteien haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie die ESB-Arbeiter und Angestellten auffordern, „im Interesse des wirtschaftlichen und sozialen Wohlergehens der Mitbürger“ unverzüglich an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Keine Gruppe von Arbeitern dürfe ihre Interessen auf Kosten des gesamten Landes durchsetzen. Die Regierung war besonders darüber entsetzt, daß der Streik so kurz nach der Unterzeichnung eines neuen „Abkommens zur nationalen Erholung“ ausgebrochen sei. Das Abkommen zwischen den „Sozialpartnern“ sieht drastische Einschränkungen bei Lohnerhöhungen vor und soll inflationshemmend wirken, damit Irland — eins der pro Kopf der Bevölkerung höchstverschuldeten Länder der Welt — vom Schuldenberg herunterkommt.
Der irische Unternehmerverband malte ein düsteres Bild: Die irischen Unternehmen würden ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, und viele ausländische Investoren würden sich nach neuen Produktionsorten umsehen. Zahlreiche Firmen haben inzwischen Kurzarbeit eingeführt oder bis Streikende geschlossen und der Belegschaft vorsichtshalber Kündigungsbriefe geschickt. Dennoch sind die ESB-Elektriker offenbar entschlossen, ihre berechtigten Forderungen durchzusetzen. „Wir haben die Schnauze voll“, sagte ein Arbeiter. „Jahrelang haben wir stillgehalten und uns mit Versprechungen abspeisen lassen. Den Streik hat sich das Management wegen seines arroganten und starrköpfigen Verhaltens selbst zuzuschreiben.“
Um 21.30 Uhr ist auch für „Forte“ das Geschäft beendet. Das Rotationssystem hat zugeschlagen. Bei Kerzenlicht verkauft der Inhaber noch die letzten fertigen Pommes frites, wirft die halbgaren Bratfische in den Mülleimer und macht den Laden dann zu. Ein halbes Dutzend potentieller Kunden muß wohl mit belegten Broten vorliebnehmen.
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