: Flapsig formulierte, verwirrende Desinformation
betr.: „Rat zum Rad“,
taz vom 20.4.91
Als überzeugte Alltagsradlerin, durchaus modern „beradet“, und velophile Oldieradbastlerin finde ich eine breite Information zu Fahrradthemen aller Art grundsätzlich wichtig und notwendig. Unter „Tips und Bedenkenswertes zum Fahrradkauf“ hätte ich mir bei einem gut eine halbe Zeitungsseite einnehmenden Artikel doch etwas Durchdachteres gewünscht.
Die hier verbratenen Gemeinplätze über Mountain- und Trecking-, Reise- und Omaräder stehen in ihrer Verquickung mit für den tatsächlich Rat- und Radsuchenden schwer verständlichen Techno-Details auf der Informationsgehaltsstufe des Quellekatalogs.
Statt flapsig formulierte verwirrende Desinformationen zu liefern, wäre hier der Verweis auf den Fahrradfachhandel angebracht gewesen, nebst der Feststellung, daß unter etwa 600 bis 700 DM kein anständig verarbeitetes und ausgerüstetes alltagstaugliches Rad zu bekommen sein wird. Die Frage, wofür man das Rad braucht, und Erklärungen zu den jeweils interessanten technischen Details sollten dann beim engagierten Zweiradhändler selbstverständlich sein; im Kaufhaus oder Supermarkt steht Verbraucherinformation zu fabrikneuem Schrott gar nicht zur Debatte. Eine billige 21-Gang- Schaltung macht noch lange kein gutes Rad.
Genausowenig, wie ich mit einem Mountainbike querbeet radelnd Naturzerstörung betreiben würde, hätte ich das Verlangen, mittels eines besonders wendigen Rades in engen Altstadtgassen Fußgänger als Slalompfosten zu mißbrauchen. Den weiteren Ausbau des dumpf-aggressiven Feindbildes Fußgänger — Radler muß man nicht noch fördern.
Dem tatsächlich Rad-Suchenden möchte ich den ADFC-Ratgeber Fahrradkauf ans Herz legen (der Rad-suchenden Frau natürlich erst recht — Radlerinnenpower macht Machomechaniker sauer!), erhältlich im Buchhandel oder den Geschäftsstellen des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs.
Nach Verarbeitung und Haltbarkeit schneidet Urgroßmutters Uralttourenrad trotz „nur“ Rücktrittnabe und Gestängebremse im Vergleich zu vielen neuen Tretmühlen gar nicht so schlecht ab. Annette Zoepf, Augsburg
[...] „Ganz klar, der Mountainbike- Boom hat die Technik der Gebrauchsräder revolutioniert. (...) 21 Gänge sind Optimum. (...) Beim geringsten Widerstand einen Gang tiefer, wenn's leichter wird, sofort einen Gang höher.“ Fein, so weit das Prospektwissen.
Schauen wir uns mal an, wie es einer/m frischgebackenen MoutainbikerIn geht, wenn sie der Tür zum Radladen den Rücken gewendet und den Arsch in den Sattel geliftet hat. Anders als im um die Ecke geparkten Stinkeauto sieht man mit Erstaunen zunächst einmal zwei Schalthebel statt einen.
Die 21 verfügbaren Gänge werden erreicht durch die exakte Kombination der Schaltstellungen der beiden Hebel. Und zwar nicht so wie es schön wäre und es sich der Moutainbike-Anfänger vorstellt, daß bei einem Wechsel in den nächsthöheren beziehungsweise niedrigeren Gang jeweils nur einer der beiden Hebel zu bewegen ist. Nein, beim Wechsel in benachbarte Gänge müssen fast immer beide Hebel nach einer Schalttabelle bewegt werden. Die Schalttabelle darf man sich selber ausrechnen und sollte sie ständig parat haben, oder man läßt sie sich bei jedem Schaltvorgang vom Begleitfahrzeug zurufen. [...]
Lobend zu erwähnen ist, daß zumindest bei den obersten vier Gängen nur noch ein Schalthebel zu bewegen ist. Vorne läßt man Kettenrad 1 aufgelegt, hinten schaltet man Ritzel 4/7 durch. In diesen Gängen kann man wunderbar bei Gefällstrecken für zusätzlichen Schwung sorgen. Wenn der Mountainbiker also die Eiger Nordwand runterdüst, so vermittelt ihm seine Schaltung etwas mehr Verkehrssicherheit, aber auch etwas weniger Schaltvergnügen.
Böse Stimmen behaupten, daß viele MountainbikerInnen deshalb so schnell treten, weil sie sich noch nie getraut haben, aus dem ersten Gang hochzuschalten. Für die nächste MTB-Saison sind schon die ersten Erlkönige gesichtet worden. 96 Gänge, Heckspoiler und 'nen Hula- Hoop-Reifen als Reserverad.
Schöne Grüße an den Sätzer (des Kommentars wegen). A.Kutte, (West)Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen