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EG manipuliert Genkontrolle

Neues EG-Gesetz weicht eine Kontrolle der Gentechnologie weiter auf Keine „unnötigen Gesetzesbürden“ für den „Industriezweig der Zukunft“  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Mutanten sind im EG-Europa schon lange auf dem Vormarsch. Jetzt, so scheint es, wollen sie ihrer Art zum endgültigen Durchbruch verhelfen. Eigens dazu hatte die EG-Kommission, selbst ein Zwitter zwischen Superministerium und Keimzelle einer künftigen europäischen Regierung, bereits vor elf Tagen ein Grundsatzdokument zur Förderung der Gentechnologie beschlossen. Heute nun sollen die Leitlinien zur „Hebung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ dieses „Industriezweigs der Zukunft“ dem wohlwollenden Auge des EG-Gesetzgebers vorgelegt werden. Die Mehrheit der zwölf Wirtschaftsminister, ihrerseits Krönungen des EG-Mutantentums, haben bereits Zustimmung signalisiert. Schließlich verwandeln sie sich jedesmal auf der Fahrt von ihren nationalen Dienststellen nach Brüssel oder Luxemburg aus Mitgliedern der Exekutive in die fast allmächtige EG- Legislative.

Diese der demokratischen Kontrolle weitgehend entrückte Stellung wollen die Minister nutzen, um unter anderem die eigenen, vor Jahresfrist verabschiedeten Kontrollgesetze zu genmanipulierten Organismen auszuhebeln. Denn die EG-Richtlinien für die Freisetzung von und den Umgang mit gentechnisch manipulierten Lebewesen in die Umwelt und in geschlossenen Labors sind der Genindustrie ein Dorn im Auge. Nach dem von Binnenmarktkommissar Martin Bangemann vorgelegten Konzept werden die Gesetze zwar bestehen bleiben, ihre Vorschriften sollen jedoch umgangen werden können. Die Industrie und mit ihnen die Minister setzen statt dessen auf Richtlinien, die nicht den Forschungs- und Herstellungsprozeß, sondern das Endprodukt — Pestizide oder Pharmazeutika — im Auge haben. Die Kriterien für diese Produktrichtlinien sind allerdings nicht speziell auf gentechnische Verfahren zugeschnitten, ersparen der Industrie also teure Tests und Kontrollen.

Seitdem die taz in ihrer Ausgabe vom 17. April auf diese Entwicklung aufmerksam machte, zieht Bangemann durch die Lande, um seine lauteren Absichten kundzutun. Schließlich wolle er „nicht die Schutzvorschriften beseitigen“, sondern „zusätzliche Bedingungen für einzelne Produkte und deren Zulassung“ schaffen. Dies allerdings steht in direktem Widerspruch zu dem unter seiner Regie erstellten Dokument, in dem es unter anderem heißt: „Die Gemeinschaft verpflichtet sich, der Industrie nicht unnötige Gesetzesbürden aufzulasten.“ Was Bangemann wirklich erreichen will, zeigt sich an der Richtlinie für Pestizide, die vom Ministerrat im nächsten Monat verabschiedet werden soll.

Dieses Gesetz wird die Vermarktung von „Produkten“ regeln, die, wie es so schön euphemistisch heißt, „die Gesundheit von Pflanzen fördern“. Es ist die erste in einer längeren Reihe von auf spezifische Produkte zugeschnittenen Richtlinien, auf die das neue Grundkonzept angewendet wird. In dem Abschnitt des Gesetzentwurfes, der sich mit der Behandlung von genmanipulierten Pestiziden beschäftigt und entsprechend das Verhältnis zu den allgemeinen Richtlinien für genmanipulierte Organismen bestimmt, sind ausgerechnet die Vorschriften ausgenommen, die die Vermarktung (sprich Freisetzung) dieser Organismen regeln. Für sie gelten demnach dieselben Vorschriften, wie für chemisch hergestellte Pestizide. Für den Fall, daß es Ärger gibt, haben sich die Minister allerdings eine Hintertür offengehalten: Die EG-Kommission soll innerhalb von zwei Jahren Vorschläge erarbeiten, wie die Gengesetze in die Pestizidrichtlinie am besten integriert werden können.

Damit folgen sie dem Fahrplan, den die Gen-Tech-Industrie vorgibt. Denn nach Ansicht ihres Cheflobbyisten, Brian Ager, „sollten wir keine Angst davor haben, die Gengesetze neu zu fassen. Man sollte dies sogar tun“. Bislang hat der ehemalige Kommissionsmitarbeiter fast immer seinen Willen bekommen. Aus seiner Feder stammen auch die Grundzüge und statistischen Argumentationshilfen von Bangemanns Grundsatzdokument zur Gentechnologie, das den Ministern heute vorliegt — für Ager „ein gutes Zeichen“.

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