: Die Kulturhauskaserne
■ Die andere naTo träumt von einem Projekt: Soldatenbuden zu Künstlerwerkstätten
Leipzig. Kaum ist Manfred Wörners Ruf gen Moskau „Wir sind keine Feinde mehr!“ verhallt, da setzt auch schon die kreative Basis den Beschluß in die Tat um: Unterm südlichen Himmel von Leipzig bestaunte die Öffentlichkeit am vergangenen Sonntag die „Erste Präsentation der naTo in der Sowjetkaserne“. Was für ein Sonn- und Feiertag aber auch: Die Tochter des Politstellvertreters, Major Nigmatulin, tollte im Mickey- Mouse-Shirt herum, vier Thomaner sangen auf dem Exerzierplatz „Heilig ist der Herr“, und im Leninzimmer war Pressekonferenz.
Die Klubfantasten des Kulturhauses „Nationale Front“ (naTo) kamen im Zuge des allgemeinen Nachdenkens über Leipzigs kulturelle Raumprobleme auf die Idee, aus dem militärischen Objekt an der Winscheidstraße eine „Kulturkaserne“ zu machen. Im Januar fühlten sie bei Major Nigmatulin vor, im Februar zeigten sie in der Kaserne den Film „Cha, Cha“ (mit Nina Hagen). Im März folgte „Janis Joplin“, und Ende April war es endlich Zeit für die „Erste Präsentation der naTo“.
Im Frühjahr 1992, so vermuten die Sowjets, werden sie aus Leipzig abziehen. Die Bundeswehr hat bereits den Verzicht auf eine Weiternutzung des 2,5 Hektar großen Grundstückes erklärt, jetzt kommt es noch auf die Haltung des Bundesvermögensamtes an. Das Projekt „Kulturkaserne“ kann sich des Wohlwollens der Stadtverordneten sicher sein: „Die Verwaltung hört hier schon zu und wartet ab, was von der naTo kommt“, meint der Dezernent für Stadtentwicklung Niels Gemkow sympathisierend.
Nach den Vorstellungen des naTo e.V., der sich als Initiator des vielleicht bald städtischen Projektes versteht, wäre die „Kulturkaserne“ mit 15 kommunalen Mitarbeitern und weiteren 15 ABMlern zu betreiben. Ihre Vision in Kurzfassung: Soldatenbuden zu Künstlerwerkstätten, der „MedPunkt“ zu sozialer Servicestation, der Kasernenhof zum Open- Air-Platz. Die Hauptargumente gegenüber Stadt und Bund für das Projekt sind der mögliche Abbau sozialer Spannungen und der Umstand, daß so gut wie keine Kosten für Werterhaltung anfallen dürften.
Noch aber werden die Sowjetsoldaten ein Jahr lang ihren Dienst in der Kaserne tun. Mit einer gewissen Gelassenheit verfolgen sie das Geschehen an diesem Sonntagnachmittag. „Armee ist Armee“, sagen sie immer wieder, Soldaten wie Offiziere, die ihre Namen nur ungern preisgeben. Wassili Woronow, Zugführer bei den rückwärtigen Diensten, macht einen wachsamen Eindruck trotz „Feiertag“ und Zivilkleidung. Die Bedingungen in der Kaserne seien „normal“, die Aktion der naTo sei „ein richtiger Prozeß“. Der kleine, gedrungene Mann aus dem Kaukasus ist kein Wendehals. Er hütet sich, die früheren Treffen mit dem Partnertruppenteil „Georg Schuhmann“ oder Leipziger DSF-Funktionären zu verteufeln. Gelassen führt er die Gäste durch das Leninzimmer, vorbei an den Gastgeschenken von einst, vom Turn- und Sportfest 1977 und der Nationalen Front Leipzig Süd. Die Soldaten draußen interessieren sich mehr für die Connewitzer Hausband als für das Thomaner Quartett. Am Bratwurststand herrschen fast Moskauer Zustände. Und an den Tischen werden die ersten Wodkaflaschen herumgereicht. Björn Achenbach
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