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An den Fundamenten rütteln

■ Betr.: "Das Recht auf die eigene Sprache", taz vom 11.4.91, "Zeit der Reife", taz vom 20.4.91

betr.: „Das Recht auf die eigene Sprache“, Eurotaz vom 11.4.91, „Zeit der Reife“ (Nach dem Ende des Kalten Krieges und des Golfkrieges besteht die Chance, die Rede von der „neuen Weltordnung“ Realität werden zu lassen), Essay von John Kenneth

Galbraith, taz vom 20.4.91

UNO und Weltsicherheitsrat sind im Falle des Golfkrieges als Rechtfertigungsinstrumente einer schwerwiegenden Entscheidung mißbraucht und ihrer Bestimmung entfremdet worden. Diese Entscheidung ist inzwischen Geschichte geworden, und somit ist jede Alternative zur Lösung des Konfliktes (zum Beispiel durch eine Nahost-Konferenz) vorzeitig ausgeschieden.

Trotzdem gilt es, die Institutionen der Vereinten Nationen als VorläuferInnen eines zukünftigen Weltparlamentes zu stärken! Doch nicht, indem man weitere Paragraphen hinzufügt oder die Köpfe um eine andere Auslegung zerbricht, wird aus der UNO-Charta etwas Brauchbares (zum Beispiel für die Begründung einer militärischen Intervention in die „inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates“), sondern indem man an ihren Fundamenten rüttelt!

Dieses Produkt einer vaterrechtlich denkenden Welt — sieht die UNO-Charta die meisten Rechte für die Großmächte vor (wie für Erstgeborenen) — dann kommen die „souveränen Staaten“ — das sind die anerkannten Kinder — schließlich zahlreiche andere Völker gelten als Bastarde, welche, wenn sie aufmüpfen, die „territoriale Integrität“ eines anerkannten Staates (das Erbe eines ehelichen Kindes) gefährden.

Somit ist an der UNO-Charta etwas grundsätzlich faul! Sie erhebt die „Unverletzbarkeit der Staatsgrenzen“ zum obersten Prinzip, ungeachtet dessen, auf wieviel Unrecht und Unterdrückung diese Staaten aufgebaut und mit welcher Willkür oder Fremdbestimmung diese Grenzen gezogen sind! Sie schützt den Status quo! Erst im äußersten Fall eines Völkermordes wird darüber nachgedacht, ob man die Buchstaben des Gesetzes nicht ausdehnen könnte, anstatt die Charta im neuen Geist umzuschreiben. Sie sollte wesentlicher, normativer formuliert sein: Prinzipien eines neuen Völkerrechts für eine gerechtere, bessere Welt.

Aus der Sicht des Mutterrechts sind alle Völker dieser Erde ebenbürtig! Unabhängig davon, ob sie in ihrem eigenen Nationalstaat, in einem Vielvölkerstaat, als Mehrheit oder als Minderheit oder in der Diaspora leben oder auch von Ort zu Ort ziehen, als Wandervolk; sie sind alle gleich viel wert und unentbehrlich. Ziel des Weltparlaments ist, das friedliche Zusammenleben der Völker der Erde zu garantieren. Mit bloßem Grenzschutz ist das nicht getan!

Zuallererst müßten die Rechte eines jeden Volkes definiert werden. Zentrale Bedeutung hat dabei die Muttersprache, die eigenständige Kultur, Traditionen. Diese sind unabdingbare Rechte der Völker, analog zu dem Menschenrecht: die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen. Die Verletzung dieses Rechts in sehr vielen Staaten der Welt darf uns niemals dazu verleiten, darauf zu verzichten.

Die sprachliche Entwurzelung ist ein universelles Drama (ergreifend besungen unter anderem durch elsässische Dichter), welches es zu lindern gilt! Dadurch, daß regionale Sprachen weltweit zugelassen und ihre Entwicklung nicht künstlich abgewürgt wird sowie dadurch, daß die Bedeutung der „Weltsprachen“ relativiert wird!

Kulturelle Autonomie ist eine Mindestforderung, welche grundsätzlich jedem Volk zusteht, verknüpft mit der Verpflichtung, anderen, unter ihnen lebenden (zahlenmäßigen) Minderheiten dasselbe zuzugestehen. Dieses Recht muß in die UNO-Charta! Das bedeutet konkret: Schulen, Bücher, Institutionen, Feste, Sitten, freie Religionsausübung (beziehungsweise Nichtausübung), Bräuche, Kleidung, Musik, Bauweise und so weiter. Alles davon muß den natürlichen, organisatorischen Lauf der Dinge, das heißt sowohl die Wahrung der kulturellen Identität als auch die Vermischung der Kulturen, zulassen. Nichts davon darf erzwungen oder verboten werden!

Eine eklatante Verletzung dieses Prinzips, welche die UNO nicht übersehen darf, ist: vollendete Tatsachen schaffen durch Deportationen, „Transfer“, Vertreibung, Verfolgung, Zerstreuung eines Volkes. Nicht erst bei vollzogenem Völkermord, sondern viel früher soll das Weltparlament jede Unterdrückung, jede Diskriminierung, jede Zwangsassimilierung ahnden. In diesem Geist werden die scheinbaren Unlösbarkeiten und vermeidbaren Demütigungen mit Straßenschildern, Ortsbezeichnungen (die müssen einfach mehrsprachig werden), Behördensprache bis hin zur Benennung der bewohnten Heimat — als Probleme schwinden wie Schnee unter Sonnenstrahlen. Voraussetzung ist, daß die Völker lernen, sich als gleichwertig zu achten, einander entgegenzukommen. Der erste Schritt zur Verbreitung dieses Prinzips ist dessen Verankerung in der UNO-Charta.

Für die Durchsetzung des neuen Völkerrechts braucht die UNO Unterstützung! Ich denke hier nicht an die schnelle Eingreiftruppe, sondern an etwas Prophylaktisches! Eine von radikal-pazifistischen Frauen zu gründende Organisation stellt sich die Aufgabe, bei jeder sich anbahnenden Konfliktsituation direkte Treffen zwischen Sprecherinnen der betroffenen Parteien zu organisieren mit der Zielsetzung, Friedenskompromisse auszuhandeln und ihre Empfehlungen zu veröffentlichen. In dem kompromißlosen Geist der gegenseitigen Achtung und der Entschlossenheit, Frieden zu schaffen ohne Waffen, werden diese Frauen ihre erarbeiteten Vorschläge zur Disposition stellen und Konfrontationen abwenden helfen! Magda Szabo, Adenbach

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