PRESS-SCHLAG: Das Ende des Turnvaters
■ Hallenmuff ade: Die Turnmanager von Bergisch-Gladbach haben die Vip-Lounge entdeckt
Was haben Emil Beck und Ion Tiriac mit Turnen zu tun? Rein physisch noch nichts. Und doch sind die beiden Sportmanager mittlerweile auf geradezu metaphysische Weise selbst da, wo sie nicht sind. Denn ihr Geist des Mammon, der Vermarktung und Bereicherung hat sich losgelöst von Fecht-Planche und Tennis-Court und treibt sein Unwesen nun auch zwischen Barren und Balken.
Wer also zur ersten gesamtdeutschen Frauenturnmeisterschaft seit 1943 gekommen war, um mal wieder eine nostalgische Nase voll Turnvater Jahn zu schnüffeln, sah sein Riechorgan schwer geschmäht: Statt des geliebten Turnhemdchenmuffs zog eine appetitanregende Wolke aus Lachs- und Champagnerdunst über die Matten. Die Lösung des Geruchsgeheimnisses kostete 250 Mark: Der Eintritt zu einer Vip-Lounge Tiriacschen Zuschnitts.
Natürlich sitzen die very important people nicht in irgendeiner popeligen Turnhalle, sondern im Tauberbischofsheim der Turner: Das — nach dem Muster von Emil Becks Fechtimperium — professionell geführte Kunstturnzentrum Bergisch-Gladbach, das jährlich mit rund 300.000 D-Mark gesponsort wird.
Längst vorbei sind auch die Zeiten, wo kleine Körper im schwarzen Feinrippleibchen güldene Urkunden als Siegesgeschenk entgegennahmen. Die blechernen Medaillen überm Kinderbett sind dem modernen Sparbrief gewichen. Einen solchen nämlich erhielt die 15jährige Achtkampf-, Boden- und Schwebebalkenmeisterin Anke Schönfelder für ihre gelenkigen Bemühungen vor den wohlwollenden Augen der Lachsliebhaber.
So wußte die Ostberlinerin, großgeworden in grauen Kinder- und Jugendsportschulen, kaum, wie ihr geschah. Mehr noch staunten ihre einstigen Kolleginnen, die aus der Ex-DDR nach Bergisch-Gladbach konvertiert waren. Sie kassierten auch ohne Sieg fette Prämien für ihre waghalsigen Übungen: Jana Günther, Zweite im Achtkampf, bekam 4.000 Mark für die Plazierung und zusätzlich 20.000 Mark von dem eigenen Sponsorenpool für die bevorstehende WM-Teilnahme. Achtkampfdritte Andrea Drissler verbog sich für 23.500 Mark, Peggy Wünsche als Fünfte schleppte 21.500 Mark mit nach Hause.
So waren nach drei gelenkigen Tagen schließlich alle zufrieden: Die Turnerinnen, die insgesamt 4.000 gesättigten Besucher und — mit einem Reingewinn von 35.000 Mark — nicht zuletzt der Veranstalter. Nur der Turnvater Jahn wird sich weitab von jedem Sponsor unbemerkt im Grab umgedreht haben. miß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen