: Das Ende des Pessimismus
■ Nach den Deutschen Meisterschaften der Turnerinnen sind die Hoffnungen auf eine Olympia-Qualifikation gewachsen/ Anke Schönfelder vom SC Berlin als neuer Silberstreif
Bergisch-Gladbach (taz) — Anke Schönfelder, die überragende Turnerin bei den Deutschen Meisterschaften in Bergisch-Gladbach, konnte sich ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Noch vor einem halben Jahr, als die 15jährige beim Weltpokalfinale in Brüssel an den Start ging, hieß es abschätzig, daß sie „lediglich“ konsequent ihre Übungen abspule. Jetzt präsentierte sich die kleine, dünne Turnerin mit dem hellblonden, kurzgeschorenen Haar als die am stabilsten turnende Athletin im DTB-Kader. Im Achtkampf übernahm sie vom ersten Gerät an die Spitze und mußte diese Position zu keinem Zeitpunkt mehr aufgeben und auch in den Einzelfinalen war Anke Schönfelder neben Gerit Dathe vom TSC Berlin dominierend, gewann am Balken und holte sich den zweiten Platz in der Bodenübung.
Dabei wollte sie „eigentlich nur sicher durchkommen“, stattdessen gab es den großen Sprung nach vorn, obwohl sich das Training seit dem Weltcup gar nicht so geändert hat. Anke Schönfelder schloß sich nämlich nicht den Scharen der Konsumflüchtigen an, sondern blieb in Berlin. Dort hatte sie sich schon in alten DDR-Zeiten das Recht abgetrotzt, zu Hause wohnen zu dürfen. „Die wollten doch, daß ich weiterturne, also mußten sie nachgeben.“
Geändert hat sich allerdings der Stil des Trainings. „Wir können unsere Ideen jetzt mit einbringen“, erzählt die neue Meisterin, aktive Beteiligung am Trainingsgeschehen — das sei neu. Die Turnerinnen vom SC Berlin können selbst Elemente vorschlagen und mitentscheiden, wie sie diese turnen wollen. Der Trainingsaufwand hat sich dagegen wenig geändert. Neben Turnen und Schule bleibt nicht mehr viel Zeit. „Mal lesen oder Musik hören“, sagt Anke Schönfelder, vielmehr sei nicht drin.
Schon werden die nächsthöheren Ziele gesteckt. Bis zu den Weltmeisterschaften im September in Indianapolis soll die Barrenübung mit einem zusätzlichen Flugteil bestückt werden, und aus dem gehockten Sprung über das Pferd soll ein gebückter werden.
Zufrieden zeigte sich auch Bundestrainer Wolfgang Bohner. „Mit 77 Punkten können wir uns auch international wieder vorstellen“, freute er sich. Auch wenn jede Turnerin noch an mindestens einem der Geräte Schwächen zeigte, könne der Pessimismus abgelegt werden.
Doch einfach wird die Qualifikation für die Olympischen Spielen 1992 keineswegs, denn um in Barcelona dabeisein zu dürfen, muß bei den Weltmeisterschaften wenigstens Rang zwölf belegt werden. Zwar ist die DTB-Riege seit der Annexion der DDR durch die Turnerinnen „von drüben“ gestärkt, aber das Niveau der Kunstturnerinnen aus Ost und West hat sich weitgehend angeglichen und der schlechte 18. Platz der letzen Weltmeisterschaften muß erst einmal wettgemacht werden.
Intern solle es keine Probleme mehr geben mit dem Zusammenschluß der beiden Länder. Doch zumindest statistisch wird noch in den Kategorien BRD und DDR gedacht. Ob in der Meister-, Schüler- oder Jugendklasse, nach dem Bekanntwerden der Noten huscht so mancher Heimtrainer hinter die Bühne, um auf dem Taschenrechner oder manuell die Plazierung zu errechnen, die es „ohne die DDR“ gegeben hätte.
Damit sind reale Ängste verbunden. „Bei uns im Westen fahren die immer noch auf den Ossi-Trainer ab“, fürchtet da einer um seinen Arbeitsplatz. „Wenn ich meine Turnerin nur auf den 20. Platz bringe, können die mich schnell absägen, auch wenn wir ohne die DDR einen guten zehnten Rang erreicht hätten.“ Die Ost-Trainer könnten auch nichts anders machen als ihre Kollegen im Westen. Die Turnerinnen der DDR hätten bloß eine besserer Grundausbildung genossen. Und schon rechnet er weiter: das Niveau in der ehemaligen DDR sinkt, die Ausgangsbedingungen werden gleich. Vielleicht ist der Schützling aus seinem Trainingszentrum ja nur vorübergehend auf Platz 20 abgeschoben. Thomas Schreyer
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