: Geheimabkommen mit Republiken
■ Gorbatschow soll den Republikpräsidenten weitreichende Zugeständnisse gemacht haben/ Die nach Unabhängigkeit strebenden Republiken sollen in Zukunft wie ausländische Staaten behandelt werden
Moskau (afp/taz) — Staatspräsident Michail Gorbatschow und die Führer von neun Sowjetrepubliken haben nach einem sowjetischen Pressebericht bei ihrem Treffen am vergangenen Dienstag auch ein bislang nicht veröffentlichtes Abkommen geschlossen, in dem die Zentralregierung den Sowjetrepubliken weitgehende Zugeständnisse macht. Wie die den Reformern nahestehende wirtschaftliche Wochenzeitung 'Kommersant‘ am Montag berichtete, wurde das von Gorbatschow, dem russischen Parlamentspräsidenten Boris Jelzin und acht weiteren Führern von Sowjetrepubliken unterzeichnete „Memorandum“ von Jelzin in einer nichtöffentlichen Sitzung des russischen Parlaments am Donnerstag „enthüllt“.
Bislang war lediglich eine gemeinsame Erklärung nach dem Treffen veröffentlicht geworden, in der den Republiken bereits weitgehende Autonomie zugesichert worden war, diese sich jedoch gleichzeitig hinter Gorbatschow gestellt hatten. In dem Abkommen erkenne Gorbatschow weitgehender als in der bekanntgewordenen Erklärung die Souveränität der einzelnen Republiken an und garantiere beispielsweise die Nichteinmischung der Union in die Innenpolitik der Republiken. Die Unterzeichnung des Unionsvertrages, die bislang für Mai oder Juni vorgesehen war, sei auf Juli verschoben worden, werde also nach der für den 12. Juni geplanten Direktwahl eines russischen Präsidenten stattfinden. Falls sich die Zentralregierung weigert, den Unionsvertrag zu unterzeichnen, wird den Republiken das Recht eingeräumt, den Vertrag dennoch zu verwirklichen und neue Organe einer Zentralregierung zu schaffen. Die Sowjetrepubliken, die den Unionsvertrag nicht unterzeichnen, sollen nach dem „Memorandum“ auf allen Ebenen wie ausländische Staaten behandelt werden, fährt der 'Kommersant‘ fort. Den verbleibenden Sowjetrepubliken werde dagegen das Recht eingeräumt, ihr eigenes Wirtschaftsprogramm zu verwirklichen. Sie hätten zudem das Recht, Außenhandel zu treiben und frei über ihre Devisen zu verfügen. Das Zentrum übernehme im „einheitlichen Wirtschaftsraum“ lediglich eine koordinierende Funktion. Das Staatseigentum werde zwischen Zentrum und Republiken aufgeteilt und die Unionsregierung habe keinen Einfluß auf die den Republiken zugerechneten Unternehmen. Andererseits dürfe die Zentralregierung ein „spezielles Arbeitsregime“ in einigen Unternehmen einrichten. Damit wurde eine Bezeichnung aufgenommen, die Gorbatschow in der vergangenen Woche benutzte, als er die Ausrufung des Ausnahmezustandes nach dem 1. Mai in einigen Industriezweigen ankündigte. Der russische Präsident Jelzin ist gestern zu den Bergarbeitern in die sibirische Region Kusnezk gereist, um diesen Teil des Abkommens zu erläutern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen