: Südafrikas „destruktiver Weg“
Die Vereinbarung zwischen Regierung und ANC über politische Gefangene und Exilanten ist nicht erfüllt ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
„Wir hoffen, daß der Prozeß innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sein wird. Aber der späteste Zeitpunkt, der für die Vollendung der gesamten Aufgabe angestrebt wird, ist der 30. April 1991.“ Der „Prozeß“, von dem da im „Pretoria-Abkommen“ zwischen der Regierung Südafrikas und dem Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) die Rede ist, ist die Freilassung politischer Gefangener und die Verleihung der Straffreiheit für ANC-Mitglieder, die aus dem Exil zurückkehren. Heute ist der „späteste Zeitpunkt“ da. Und „der Prozeß“ ist noch lange nicht abgeschlossen.
Südafrikas Menschenrechtskommission schätzt, daß etwa 640 politische Gefangene bisher freikamen — aber mehr als 1.000 sollen noch hinter Gittern sein. Offen bleibt die Zahl sogenannter „Unruhegefangener“, die nach ihrer Beteiligung an politischen Protesten wegen Landfriedensbruch und ähnlichen Vergehen verhaftet wurden. Diese Zahl wird auf mehrere Tausend geschätzt. „Sie könnte sogar bei 5.000 liegen“, sagte ANC-Vizepräsident Nelson Mandela am Wochenende.
Die Regierung hat Freilassungen seit Mitte April erheblich beschleunigt. Letzte Woche kündigte Justizminister Kobie Coetzee eine Amnestie für einige „Unruhegefangene“ an. Etwa 2.000 derartige Gefangene sollen am 1. Mai freikommen. Aber der Minister schränkte ein, daß Leute, deren Vergehen zu Tod, Verletzung oder schwerem Sachschaden geführt hat, weiter als „normale Verbrecher“ behandelt werden würden.
Der Freilassungsprozeß wird kompliziert durch das bürokratische Verfahren, das die Regierung festgelegt hat. Jeder Gefangene soll individuell seine Freilassung beantragen. Nur etwa 900 haben das bisher getan. Wer keinen Antrag stellt, so das Justizministerium bisher, kommt nicht frei. Die Amnestie der letzten Woche scheint diese Voraussetzung aufzuweichen. Aber das von der Menschenrechtskommission geforderte „Öffnen der Gefängnistore für alle, die behaupten, wegen Widerstands gegen die Apartheid hinter Gittern zu sein“, ist kaum zu erwarten. Dabei hat die Bearbeitung der schwierigsten Fälle noch gar nicht begonnen. Zu diesen gehören etwa 400 Menschen, die wegen politisch motivierten Mordes verurteilt wurden.
Wenn De Klerk weiter an bürokratischen Schikanen festhalte, wäre das „ein höchst destruktiver Weg, der nicht nur seine Zukunft sondern die Zukunft des ganzen Landes aufs Spiel setzt“, betonte die Organisation „Anwälte für Menschenrechte“ gestern. Das Verhalten der Regierung hat den Verhandlungsprozeß erheblich belastet. Mögliche Konsequenzen sind Hungerstreiks im ganzen Land, massive Proteste und der Abbruch aller Kontakte zwischen ANC und Regierung. Ein erster Hungerstreik von 26 Gefangenen hat dem ANC zufolge schon begonnen.
Bei der Rückkehr exilierter Südafrikaner sieht die Situation noch schlechter aus. Von mehr als 20.000 Leuten im Exil haben nur wenige Tausend formal Straffreiheit beantragt, und nur einige Hundert sind bisher in das Land zurückgekehrt. Ein Hindernis sind die Kosten der Repatriierung. Verschiedene Regierungen wollen südafrikanischen Organisationen finanzielle Hilfe nur gewähren, wenn das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) die Repatriierung koordiniert. Eine Beteiligung des Erzfeindes UNO hat Südafrikas Regierung lange verweigert. Nun hat ein Vertrag mit dem UNHCR, der die „Souveränität Südafrikas garantiert“, den Widerstand überwunden: Nach Gesprächen letzte Woche in Genf zwischen südafrikanischen Diplomaten und dem UNHCR hieß es, daß die UNO schon in wenigen Wochen die Arbeit aufnehmen könnte.
Johannesburg (dpa) — Bei schweren Unruhen in den Townships Alexandra und Soweto wurden am Wochenende 41 Menschen getötet, nachdem sich die Polizei geweigert hatte, bewaffnete Inkatha-Mitglieder zu entwaffnen. Inkatha-Führer Buthelezi griff daraufhin ANC-Vize Mandela scharf an.
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