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Geht dem Windkraft-Boom die Puste aus?

Der Naturschutzbund wettert gegen Windkraftanlagen: Im platten Norddeutschland stellen sie ein „Hindernis in der Landschaft“ dar/ Betonspargel bringen den Flug der Zugvögel durcheinander/ Beste Windmühlen-Standorte gefährdet  ■ Von Kai Fabig

Burg auf Fehmarn (taz) — Das Wort vom „Texas des Nordens“ macht die Runde. So wie in dem US- Staat einst die Ölbohrtürme in den Himmel wuchsen, so sprießen in Schleswig-Holstein derzeit Betonspargel mit einem Rotor an der Spitze — Windkraftanlagen also — aus dem Boden. Ein wahrer Windenergierausch hat das Land zwischen den Meeren erfaßt. Endlich einmal ein Standortvorteil, wird zwischen Flensburg und Norderstedt gejubelt. Denn mit dem auf die Zielgröße 250 Megawatt aufgestockten Förderprogramm des Bundes und den über 16 Pfennig, die die Stromkonzerne derzeit pro alternativ erzeugte Kilowattstunde, die in ihr Netz eingespeist wird, zahlen müssen (vorher nur die Hälfte), ist die Windenergie keine windige Angelegenheit mehr, sondern ein Geschäft.

Vor allem die Bauern haben die neue Geldquelle für sich entdeckt. 600 Förderanträge für mehr als 1.100 Einzelanlagen liegen derzeit beim Kieler Sozialministerium vor, das auch Energieministerium ist. Er gehe davon aus, daß die Windenergie noch in diesem Jahrzehnt fünf Prozent des Stromverbrauchs im nördlichsten Bundesland decken werde, so der zuständige Abteilungsleiter Klaus Rave auf der Mitgliederversammlung der Fördergesellschaft Windenergie (FGW) in Burg auf Fehmarn. Zur Zeit nähert man sich gerade der Einprozentgrenze.

Doch Unheil droht der umweltfreundlichen Energieform, die nach Tschernobyl und angesichts der drohenden Klimakatastrophe doch eigentlich nur Freunde haben müßte. Bei der Tagung auf der Ostseeinsel konnte man nämlich lernen, daß Umwelt- und Naturschutz nicht unbedingt immer ein und dasselbe sein müssen. Denn nicht die finstere Atomlobby ist es, die der Ausbreitung der Windmühlen Stöcker zwischen die Rotorblätter steckt.

Zwar könnte die Windenergie theoretisch ein Drittel des deutschen Strombedarfs decken, doch ist diese Theorie wirklich grau. Selbst der FGW-Vorsitzende Walter Rieß, Professor am Institut für Strömungsmaschinen in Hannover, hat errechnet, daß bis zum Jahre 2005 nicht mehr als 1.000 Megawatt Wind-Leistung installiert werden können. Das entspricht nicht einmal einem Atomkraftwerk, wobei noch berücksichtigt werden muß, daß eine Windmühle ihre installierte Leistung nur zu 30 bis 60 Prozent in wirkliche Arbeit umsetzt. Das Unheil droht vom Naturschutz. Bei der Tagung auf Fehmarn forderte Klaus Dürkop, Präsident des Naturschutzbundes (vormals Deutscher Bund für Vogelschutz), „daß diese Energieformen (Windenergie und andere regenerative Energien d.R.) nicht um jeden Preis forciert werden und nicht zu Lasten der Landschaft mit ihrer Tier- und Pflanzenwelt gehen dürfen“. Dem Wildwuchs der Betonspargel müsse Einhalt geboten werden. Schließlich sei eine moderne Windmühle auch nur eine Industrieanlage, die besonders im platten Norden ein „Hindernis in der Landschaft“ darstelle. Dadurch träten „erhebliche Irritationen“ bei den Zugvögeln auf, die zu „Richtungsänderungen beim Vogelzug“ führen könnten. Für diese Beeinträchtigungen forderte Dürkop ökologische Ausgleichsmaßnahmen, wie sie üblich sind, wenn ein Bauwerk Schaden an der Natur anrichtet.

Das wäre für die Windenergiefans allerdings nicht das Schlimmste, auch wenn sie auf Fehmarn die Ansicht vertraten, daß der Bau einer Windmühle wegen der vermiedenen Schadstofffrachten für sich genommen schon eine ökologische Ausgleichsmaßnahme darstelle. Echte Probleme bekäme die Windkraft aber, wenn die Empfehlungen eines Gutachtens im Auftrag des Bundesforschungsministeriums umgesetzt würden. Denn die Gutachter von der Norddeutschen Naturschutz-Akademie wollen ausgerechnet die besten Windkraft-Standorte von den Betonspargeln freihalten. Erst 500 Meter hinter den Deichen sollen Windmühlen stehen dürfen, da die Wasserlinie den Zugvögeln als Orientierungshilfe dient. Auch der Ausschluß von Landschaftsschutzgebieten würde die Zahl der Windkraftstandorte drastisch verringern. Und Träume von einer Off-Shore-Windernte im Watt würden von vornherein platzen.

Doch bevor man der Windenergie derartige Restriktionen auferlege, sollte man erst einmal schauen, was an Hochspannungsmasten, Fernsehtürmen und Bettenburgen für die Touristen in der Landschaft herumstehe und sie veschandele, forderten die Windkraftler auf Fehmarn. Tatsächlich mutet es skurril an, daß ausgerechnet eine Energie, bei deren Erzeugung keinerlei Schadstoffe entstehen, Probleme mit dem Naturschutz bekommt. Trotzdem geht der Verweis auf die Altlasten haarscharf am Kern des Problems vorbei. Und in diesem Fall besteht es darin, daß der Naturschutz nach gut 15jähriger Umweltdiskussion mittlerweile einen recht hohen Stellenwert erreicht hat. Wer diesen Stellenwert wieder zurückschrauben wolle, begehe einen großen Fehler, so Bernd Straßburger, Kreisbaudirektor in Ostholstein. Viel sinnvoller wäre es, die Beseitigung der Altlasten zu fordern oder zumindest dafür zu sorgen, daß diese Eingriffe in die Natur nachträglich ausgeglichen werden müßten.

Ob die Probleme mit dem Naturschutz jedoch überhaupt wirklich relevant werden, hängt auch davon ab, ob ein andere Schwierigkeit aus dem Wege geräumt wird. Denn ein verstärkter Ausbau der Windenergie bringt Leitungsprobleme mit sich, da die Stromversorgung bisher vom Zentrum zur Peripherie verläuft. Auf Fehmarn heißt das konkret: Der Strom der 200 dort geplanten Anlagen läßt sich mit der existierenden Leitung nicht auf das Festland übertragen. Und so sieht es an vielen potentiellen Windkraft-Standorten aus, die bisher End- und nicht Ausgangspunkt der Versorgung waren. Sollten die Stromkonzerne weiterhin nicht bereit sein, die Kosten für stärkere Leitungen zu tragen, könnte das dem derzeitigen Windkraft-Boom schon frühzeitig die Puste ausgehen lassen.

Für die Zeit nach 1995, wenn das 250-Megawatt-Programm ausläuft, sieht es ohnehin schlecht aus. Auch wenn die einzelnen Anlagen bis dahin billiger werden sollten, weil größere Stückzahlen die Produktionskosten senken, wird die Expansion der Windenergie davon abhängen, ob es neue Förderungen gibt. Die FGW denkt an Zahlungen für vermiedene Treibhausgase. Dann würde sich die Windenergie auch für die großen Stromkonzerne rechnen. Denn für sie ist die Windkraft bisher betriebswirtschaftlich völlig uninteressant. Von den erhöhten Einspeisepreisen für regenerative Energien haben sie nichts, und die vermiedenen Kosten für Öl, Kohle oder Uran sind weit geringer als die für Windenergie.

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