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Harte Worte vor wenig Leuten

■ Nur wenige tausend Arbeitnehmer erschienen zur DGB-Kundgebung vor dem Reichstag/ Christine Bretz mit harter Kritik an Bonn/ Betriebsratschef Ost sieht noch gar keine freie Marktwirtschaft

Tiergarten. Der Animateur des DGB gab sich redlich Mühe. »Kollegen, kommt alle zusammen nach vorne, damit wir wenigstens ein gutes Bild abgeben.« Wenige tausend Menschen auf dem weiten Platz der Republik vor dem Reichstag folgten der Aufforderung, aber zu kaschieren gab es wenig. Die erste 1.-Mai- Veranstaltung im wiedervereinigten Deutschland war schlechter besucht als die Saalveranstaltungen der frühen 70er Jahre.

Sichtbare Zeichen und Perspektiven für die Zukunft der Stadt forderte die berlin-brandenburgische DGB- Landesvorsitzende Christine Bretz vom Senat. Die Massenarbeitslosigkeit in beiden Teilen der Stadt könne nur durch ein wirtschafts- und beschäftigungspolitisches Sofortprogramm bekämpft werden. »Wer die Dienstleistungsmetropole Berlin wolle, müsse zunächst den Industriestandort sichern.« Gegenwärtig gebe es im Westteil rund 95.000 und im Ostteil um 76.000 registrierte Arbeitslose. Den Bonner Politikern warf Bretz vor, »total konfus und ohne Strategie« die wirtschaftliche Sanierung der Länder zu betreiben. Was sich hinter dem Stichwort »Solidargesetz« verberge, sei die Sanierung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern »auf dem Rücken der abhängig Beschäftigten«.

Deutlich weniger moderat als die DGB-Vorsitzende ging der Betriebsratsvorsitzende des Köpenicker Werks für Fernsehelektronik (WF), Holger Kaselow, mit den Politikern um. Die Entfaltung der marktwirtschaftlichen Bedingungen sei bisher mehr behindert als gefördert worden, sagte er. Der Grundsatz, soviel persönliche und wirtschaftliche Freiheit wie möglich und soviel staatliche Lenkung wie notwendig, müsse endlich umgesetzt werden. Der Staat habe einzugreifen, wenn die Marktkräfte noch nicht oder zum Schaden der Bürger greifen. Bisher, sagte er weiter, hätten an der deutschen Einheit vor allem »Spekulanten, Geschäftemacher, alte und neue Seilschaften und die Wirtschaft der alten Bundesländer verdient«. Dafür könne man nicht ständig die Schuld in vierzig Jahre »Pseudosozialismus« suchen. Es sei nicht hinzunehmen daß der Personalabbau in den Betrieben ohne Perspektiven für die Betroffenen erfolge.

Kaselows Rede wurde mehrfach von türkischen Demonstranten unterbrochen, die sich unbedingt das Mikrophon für eine Brandrede gegen Kurdenfeind Özal erobern wollten. Es glückte ihnen nach Beendigung des offiziellen Teils. aku

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