: Aufbruch der russischen Russen
Rußlands Monarchisten sind in „Legitimisten“ und rechtsextreme Anhänger der „Volksmonarchie“ aufgespalten ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Dessen ist sich ein kleines, aber unentwegtes Häuflein von Sowjetbürgern ganz gewiss: Die Sowjetmacht ist illegal. Seit März 1917 habe es überhaupt gar keine legitime Macht mehr gegeben. Die legitime Macht aber wird unweigerlich auftauchen — durch magische Kräfte begünstigt, vielleicht schon in einem Jahr — und zwar in Gestalt eines neuen Zaren. Wer „ihn“ inkarnieren soll? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Etwa zwei Dutzend Zwergparteien, „Bünde“ oder „Orden“, teilen sich in „Legitimisten“ und Anhänger der „Volksmonarchie“.
Der „Rechtgläubig-Monarchistische Ordens-Bund“ (PRAMOS) zum Beispiel hat selbst zwar nur etwa fünfzehn bis zwanzig Mitglieder, ist aber dennoch repräsentativ für eine Mehrheit, nämlich die „Legitimisten“ insgesamt. Mit einem medienwirksamen Kostümfest — in Spitzenkleidern und mit Degen — konstituierte sich der Bund vor einem Jahr in den altehrwürdigen Mauern des Moskauer „Donskoj-Klosters“ unter Führung von „Marschall“ Sergej Jurkow-Engelhardt (siehe Kommentar). Seine Anhänger möchten die Monarchie durch ein Referendum einführen, auf das hin dann die konstituierende „Zemskij Sobor“ (Versammlung der Landstände) einberufen wird. Und wer wird zum Zaren gewählt? Selbstverständlich niemand anderes als Großfürst Wladimir Kirillowitsch Romanow, der in Paris residierende männliche Erbe der letzten Dynastie. Wladimir Kirillowitschs Vater, Kirill Wladimirowitsch, war nämlich der älteste Cousin (2. Grades!) des letzten Zaren, Nikolaus II. Für die Zukunft steht auch schon ein Thronfolger fest, Wladimir Kirillowitschs elfjähriger Enkel, Georgij Michailowitsch.
Vielleicht lohnt es sich, mit der Zarenherrschaft in Rußland noch zu warten. Das putzige Kerlchen würde nämlich im gemeinsamen europäischen und übergroßrussischen Haus gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er könnte auch Ansprüche auf den georgischen Thron geltend machen. Wladimir Kirillowitschs Ehefrau ist immerhin mit dem georgischen Kaiserhaus der Bagratiden verwandt.
Letzteres gerade, bildet den Dorn im Auge des monarchistischen Gegenlagers. Die Vertreter der „Volksmonarchie“ behaupten, es handele sich bei der Dame um die Tochter eines Tbilissier Juden und Enkelin eines Rabbis. Der Zar dürfe aber nur ein richtiger Russe sein. Das Land der Russen, übrigens, umfaßt nach dieser Interpretation die „provisorisch als UdSSR bezeichneten Territorien“. Als „richtige“ Russen gelten dabei nur orthodoxe Christen, und ein orthodoxer Christ ist als solcher nur „richtig“, wenn er erstens an die Weltverschwörung der Freimaurer (sprich Juden) glaubt und zweitens — an die Monarchie. Wer diese Kette nachvollzogen hat, kommt zu dem Schluß, daß es in Moskau allerhöchstens zwei- bis dreitausend richtige Russen gibt.
„Der Kreis wird spärlicher, aber er schließt sich“, stellt mit freudig geweiteten Pupillen Vater Walerij Suslin fest. Zusammen mit dem ehemaligen christlichen Dissidenten Wladimir Ossipow ist er eine der tragenden Säulen der Union „Christliche Wiedergeburt“, der mit etwa vierhundert Mitgliedern allein in Moskau größten Organisation der volksmonarchistischen Richtung.
Der Monarchistenkreis, der sich, wie jeden Dienstag, in einer alten Villa der Altstadt in einem Raum der „Allrussischen Gesellschaft zum Schutz historischer und literarischer Denkmäler“ versammelt, ist gerade tatsächlich zusammengeschrumpft. Einige Anhänger der nationalbolschewistischen „Pamjat“-Richtung merkten ungeachtet des gesungenen Gebets zu Beginn zu spät, daß sie sich auf der falschen Veranstaltung befanden: Das Eingangsthema entsprach ganz ihrem Geschmack. Da berichtete ein (richtiger) christlicher Abgeordneter des Moskauer Stadtsowjet, welche schädlichen Organisationen sich unter den Fittichen der „sogenannten Demokraten“ in Moskau breit machen: katholische Mönchsorden (selbstverständlich ist auch der Papst ein Jude), Calvinisten, die Moon-Sekte (!), und sogar Theosophen. Diese alle tummelelten sich nicht etwa zufällig auf dem Roten Platz, der in der Vorzeit dem Satanskult diente.
Sie genössen dabei sogar die schweigende Billigung des Moskauer Patriarchats, das „die Russisch Orthodoxe Kirche mit Hilfe der Massenkommunikationsmittel zersetzt“. Dagegen wissen die Männer und Frauen von der „Christlichen Wiedergeburt“, daß der Kampf mit solcherlei „Ketzern“ ihre zweitvornehmste Aufgabe ist. Die erste „große Sache, die uns alle vereint, ist die Wiederherstellung des rechtgläubigen Rußland als Monarchie“. Auch die Volksmonarchisten wollen den Zaren auf einem „Zemskij Sobor“ wählen, ihnenzufolge bezieht er aber seine Legitimation nur aus dieser Wahl. Eine gewisse Verwandtschaft mit dem Hause Romanow wird zwar begrüßt, ist aber nicht unbedingt Vorbedingung.
Die Nachbarschaft dieser Monarchisten zur nun nebenan krakeelenden Pamjat-Gruppe ist zumindest geistig. Einschlägiges Schrifttum am Verkaufsständchen in der Halle deutet darauf hin, darunter eine Kopie der begehrten „Protokolle der Weisen von Zion“. Von den etwa acht verschiedenen neofaschistischen Gruppen, die sich in Moskau das Wort „Pamjat“ (Gedächtnis) in den offiziellen Namen geschrieben haben, vertreten zwei monarchistische Ansichten. Die größere von beiden, die „National-Politische Front Pamjat“, mit einigen Dutzend Mitgliedern, hat aus dem „Gedächtnis“ schon ein Geschäft gemacht. Der „allrussischen Gesellschaft für die Pflege historischer und literarischer Denkmäler“, assoziiert, ist ihre Privatkooperative „Istok“ (die Quelle) — eine offenbar nicht uneinträgliche Einnahmequelle. Denn über der Teilung des Gewinnes aus ihr spaltete sich die „Rechtgläubige Nationalpolitische Front“ (Pamjat) ab. Diese Tochterorganisation gibt sich „kosmopolitisch“, sie fühlt sich nicht nur als Wahrerin des Erbes der deutschen und italienischen Faschisten, sondern auch als Fortsetzerin von Stalins Kampf gegen den Weltzionismus. So schließt sich der Kreis auch zu den Nationalbolschewiken. Und daher klingt dann der Abschiedsgruß an die Volksmonarchisten ganz schwesterlich: „Das Katholikenpack vom Roten Platz fegen, wenn ihr das schafft wär's eine reife Leistung!“
Den so Angeredeten ist inzwischen mulmig geworden: Ein ukrainischer Bruder berichtet über die Unverschämtheiten, die sich die Kiewer Juden in Heavy-Metal-Kluft vor den dortigen Kathedralen herausnehmen. „Richtige Juden?“ fragt ein Zuhörer interessiert, und die Antwort kommt spontan: „eher nichtjüdische Juden.“ Daß der positive Gegenpol, die „nichtrussischen Russen“, da auch aktiv wirkt, ist nur ein schwacher Trost. Bedrückt geht die kleine Gemeinde auseinander. Fast hätten sie zu beten vergessen.
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