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Mai-Demonstranten stehen im Regen

■ DGB-Chef Meyer warnt in Halle vor der Entindustrialisierung Ostdeutschlands/ ÖTV-Chefin: Aufschwung im Ruhrgebiet zeigt, daß man eine Krisenregion nicht dem Markt überlassen darf

Berlin (afp/ap/taz) — Die Wirtschaftskrise in den neuen Ländern hat am Mittwoch die 1.-Mai- Kundgebungen im vereinigten Deutschland bestimmt. Sowohl führende Gewerkschafter als auch die Bundesregierung mahnten die Menschen in den alten und neuen Ländern am Tag der Arbeit zu Solidarität. Die Gewerkschafter wiesen die Forderung nach einem Lohnverzicht zugunsten des Aufbaus im Osten allerdings übereinstimmend zurück. Die Veranstaltungen unter dem Motto „Soziale Einheit in Frieden und Freiheit“ waren bei regnerischem Wetter zum Teil nur schwach besucht. In ganz Deutschland gingen nach Angaben des DGB dennoch rund 600.000 Menschen auf die Straße.

DGB-Chef Heinz-Werner Meyer warnte in Halle vor einer „Entindustrialisierung Ostdeutschlands“. „Wer glaubt, nur im Westen produzieren und im Osten verkaufen zu können, der schädigt unsere Volkswirtschaft“, sagte der DGB-Chef. Gleichzeitig warnte er davor, den wirtschaftlichen Aufbau in den FNL nur als Zusatzgeschäft westdeutscher Großunternehmen zu vollziehen. Die ostdeutschen Betriebe müßten vielmehr schon in der Übergangszeit Träger und Motor des Aufschwungs werden.

IG-Metall-Chef Franz Steinkühler hat in Dortmund den Umgang der Bundesregierung mit den ehemaligen DDR-Bürgern scharf kritisiert. Es sei erbärmlich, daß die Menschen, die im Herbst 1989 für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen seien, heute um ihre Arbeitsplätze bangen müßten. „Beschämend ist, wie diese Regierung mit dem Glauben, der Hoffnung und den Wünschen dieser Menschen umgegangen ist“, sagte Steinkühler.

Die Freude über die politische Einheit könne die Sorgen über eine drohende soziale Spaltung nicht verdrängen. Auch die westdeutschen Unternehmen seien bislang den Menschen in Ostdeutschland das meiste schuldig geblieben.

Nach Ansicht der ÖTV-Vorsitzenden Monika Wulf-Mathies ist der 1. Mai trotz eines durch soziale Barrieren nach wie vor geteilten Landes in ganz Deutschland kein Tag der Resignation und Enttäuschung. In Recklinghausen sagte die Gewerkschaftschefin, der Strukturwandel in Ostdeutschland werde gelingen, „wenn das soziale Fundament gesichert ist“. Nicht gegen die Menschen, sondern mit ihnen ließen sich die wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigen. Wulf-Mathies bezeichnete den Aufschwung im Ruhrgebiet als den besten Beweis dafür, „daß man eine Krisenregion in schwierigen Zeiten nicht einfach dem Markt überlassen dürfe“. Die Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern seien überwindbar, wenn es zu einem erfolgreichen Zusammenspiel der Kräfte käme.

Resignation in Moskau

Moskau (taz) — „Einheit ist unsere Stärke“, „Frieden und Glück“, und „Erfolg bei der Arbeit“ waren schon die einfallsreichsten Transparente der diesjährigen Mai-Demonstration der Moskauer Arbeiterschaft. Die Partei hatte sich auch dieses Jahr offiziell aus der Vorbereitung der Festivität herausgehalten und das Terrain den staatlichen Gewerkschaften überlassen. Die haben es angesichts der landesweiten Streiks inoffizieller Arbeiterkomitees und unabhängiger Gewerkschaften bitter nötig, bei den Arbeitern wieder an Vertrauen zuzulegen. Nicht von ungefähr stimmte daher — zum Grausen der unter ihm beheimateten sterblichen Reste Lenins — ihr Vorsitzender Wladimir Schtscherbakow rein trade-unionistische Töne an: die Gewerkschaften hätten vornehmlich die Interessen der Werktätigen zu verfolgen. Politische Anliegen, wie sie die Streikenden mit ihrer Forderung nach Rücktritt der gesamten Führungsriege der Sowjetunion gestellt hatten, gehörten nicht zu den Aufgaben einer Gewerkschaft. Scherbakow sprach damit seinem Nebenmann Gorbatschow auf der Tribüne des Lenin- Mausoleums aus dem Herzen, schob dann aber eine wohldosierte Kritik an der wankelmütigen Politik des Präsidenten und seiner Mitstreiter nach. Scherbakow verfehlte allerdings die Wirkung auf die anwesenden „Massen“, die einer offiziellen Einladung gefolgt waren. Diese restriktive Praxis war vom Moskauer Gewerkschaftsvorstand mit dem „nicht unbegrenzten Raum“ auf dem riesigen Roten Platz begründet worden. Trotz eines Aufrufs zur Einheit nahmen die unabhängigen Gewerkschaften nicht an der Kundgebung teil. 50.000 staatliche Gewerkschafter waren eingeladen worden, doch für die unabhängigen stellte das Organisationskomitee nur 200 Plätze zur Verfügung. Sie empfanden es als Diskriminierung und blieben der Veranstaltung fern. Auch der Bürgermeister Moskaus, Gawriil Popow, zog in letzter Minute seine Zusage zurück. Er soll sich eine Empfehlung der oppositionellen Dachorganisation „Demokratisches Rußland“ gebeugt haben, die ihm abriet, da man keine gemeinsame Sprache mit den Veranstaltern gefunden hätte. So blieb man unter sich, einsam muß sich auch Lenin gefühlt haben, gewöhnlich grüßten ihn von der Fassade des „Gum“ die friedfertigen Konterfeis seiner Lehrmeister. Klaus-Helge Donath

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