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Häuser brechen unter der Bürokratie zusammen

Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse in der Ex-DDR verhindern vielerorts die Sanierung von Wohnhäusern  ■ Aus Berlin Eva Schweitzer

Eigentlich sollte im Mai Baubeginn sein: In der Rykestraße 13 und 14 am Prenzlauer Berg stand eine Genossenschaft aus MieterInnen und KiezaktivistInnen in den Startlöchern, um die heruntergekommenen Häuser aus der Jahrhundertwende in Selbsthilfe zu sanieren. Die Pläne liegen schon fertig in den Schubladen und auch das Geld steht aus dem 25-Millionen-Topf des Bausenators zur Verfügung. Aber es hakt dennoch — und zwar an der Eigentumsfrage, wie so oft im Ostteil der Stadt.

Im Grundbuchauszug für die Rykestraße 13 fand sich ein privater Eigentümer. Der habe sich zwar weder bei den Mietern noch bei der verwaltenden Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg gemeldet, sagt Brigitte Dombrowski von der Genossenschaft Rykestraße. Aber vielleicht hat der Alt-Eigentümer — beziehungsweise dessen Erbe — ja einen Antrag auf Rückübertragung beim Landesamt für offene Vermögensfragen gestellt — aber das Landesamt hat über die Anträge keinen Überblick. Und deshalb passiert in dem Haus erst einmal nichts. Aber selbst wenn das Amt sich einen Überblick verschafft haben wird, bedeutet das lange noch nicht, daß die MieterInnen die Kelle in die Hand nehmen können. Denn der Alt-Eigentümer, dessen Erbe übrigens in Argentinien wohnt, hat das Haus 1942 erworben, erzählt Frau Dombrowski. Vermutlich war es vorher, wie das Nachbarhaus Rykestraße 14, in jüdischem Besitz. Ob dieser Kauf rechtens war, ist fraglich.

150.000 Anträge auf Rückübertragung

Bis Juni will die Genossenschaft zunächst abwarten. Denn spätestens Ende Mai werde man wissen, für welche der Häuser in Ost-Berlin Anträge auf Rückübertragung gestellt wurden.

Dies zumindest kündigte der Chef des Landesamtes für offene Vermögensfragen, Wegener, in einer Anhörung des Abgeordnetenhauses an. Zur Zeit gebe es 100.000 Anträge für 150.000 Häuser, und seine Behörde könne einen Antrag pro Tag bearbeiten. Wenn es in dem Tempo weitergeht, ist das Landesamt erst in 273 Jahren mit der Bearbeitung des riesigen Papierberges fertig, errechnete kürzlich die Abgeordnete Elisabeth Ziemer von den Grünen.

Die ungeklärte Eigentumsfrage droht nicht nur die Sanierung von Selbsthilfehäusern zu blockieren, sondern auch die von ganz normalen gammeligen Altbauten.

So erwirkte ein noch nicht in seine Rechte eingesetzter Alt-Eigentümer im April für sein Haus eine einstweilige Verfügung gegen die Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg: Die laufenden Modernisierungsarbeiten mußten gestoppt werden. Das zuständige Gericht hatte entschieden, daß es sich bei dem Haus nicht um komplexen Wohungsbau — sprich Plattenneubau — handelt; und nur beim komplexen Wohnungsbau dürfe laut Einigungsvertrag über den Kopf des Alt-Eigentümers hinweg investiert werden.

Mit der gleichen Begründung wurde der Wohnungsbaugesellschaft bei einem anderen Haus untersagt, einen längerfristigen Mietvertrag abzuschließen (die taz berichtete). „Das Recht auf Eigentum wurde im Einigungsvertrag höher bewertet als das Recht auf Leben“, meint Bausenator Wolfgang Nagel. Aber eine dahingehende Novellierung des Vertrages, daß enteignete Gründstücke im Zweifelsfall zu entschädigen und nicht zurückzugeben seien, sei weder im Bundesrat noch im Bundestag durchsetzbar gewesen.

Als Kompromiß hat der Gesetzgeber Ende März das sogenannte „Enthemmungsgesetz“ verabschiedet. Nach diesem Gesetz werden solche „Verfügungsbeschränkungen“ über strittige Grundstücke aufgehoben. Bedingung: Der „Verfügungsberechtigte“, als der Noch-Verwalter, muß die Treuhand sein oder aber eine „öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft“. Unter diese Kategorie fallen auch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Zweite Bedingung: Die Bau- oder sonstige Maßnahme muß zur Sicherung von Arbeitsplätzen, von Infrastruktur oder zur „Deckung eines erheblichen Wohnbedarfs der Bevölkerung“ dienen.

Aber wo fängt der „erhebliche Wohnbedarf“ an? Wird er schon durch die Sanierung von nur zehn oder zwanzig Wohnungen gedeckt? „Das Enthemmungsgestz soll Investitionen ankurbeln und kann deshalb nicht nur im komplexen Wohnungsbau angewendet werden, sondern auch, wenn unbewohnbare Altbauten wiederhergestellt werden“, erläutert Jürgen Schmidt, Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Und wenn bewohnte Altbauten mit einer Heizung versehen werden? Solche Detailfragen kann und will Herr Schmidt nicht beantworten, da müssen man sehen, wie sich das entwickle, und die Rechtssprechung spiele auch eine Rolle.

Dieses angeblich enthemmende Gummiparagraphenwerk zu interpretieren bleibt vorerst den Ländern überlassen. Bausenator Nagel wird in den nächsten Tagen den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ein Rundschreiben zukommen lassen mit dem Tenor: Gewerbemietverträge sollen auf zwölf Jahre abgeschlossen werden, ebenso Wohnungsmietverträge; letztere sollen mit einer Option auf Verlängerung versehen werden.

Auch sollen die Gesellschaften Zentralheizungen und Bäder einbauen können. Notfalls werde es Anweisungen der Bauaufsicht geben. Eine Instandsetzung eines Hauses sei sowieso rechtens, meint Nagel. Dem Schreiben muß der Finanzsenator noch zustimmen. „Aber wenn ein privater Eigentümer bereits im Grundbuch steht, dann geht gar nichts gegen dessen Willen“, stellte Nagel klar.

Ein weiterer Pferdefuß im Enthemmungsgesetz wurde bislang noch kaum zur Kenntnis genommen: Das Gesetz erlaubt die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in der ehemaligen DDR und damit in Ost-Berlin, während das Bundesverwaltungsgericht Umwandlungen im Altbau im Westteil der Stadt de facto untersagt hat. Diese Möglichkeit ist zwar bis zum 31. Dezember 1998 begrenzt, aber bis dahin kann genug Schaden angerichtet werden: Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist in Westdeutschland einer der Hauptgründe für die Vertreibung von sozial schwächeren Mietern aus den Innenstädten gewesen.

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