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Mord und Totschlag

Der Cartoonist Ernst Kahl im Gespräch  ■ Von André Poloczek

Vor Zeiten ließ sich der europäische Hochadel von ihm beglücken. Etwa Prinzessin Tatjana von Hessen, eine Ratten- und Mäusefreundin. Bei drohendem oder bereits akutem Geldmangel war Ernst Kahl gerne bereit, den ein oder anderen Nager in altmeisterlicher Maltechnik auf die Leinwand zu setzen; mit Untermalung, in lasierendem Farbauftrag und mit Weißhöhungen veredelt.

Welche prachtvoller Kontrast entsteht, wenn eine pensionierte Laborratte mit blutunterlaufenen Augen in solch altehrwürdiger Technik dargestellt wird!? Zudem wird die Ratte — nachdem sie offensichtlich alle Tierversuche überlebt hat — von einem Musikäffchen besprungen, das freudig erregt hoppelnd nicht müde wird, sein metallisch glänzendes Becken der Ratte gegen das Hinterteil zu schlagen. (Der Satz ist so kompliziert, wie es Sätze sind, die das Unmögliche versuchen: ein Bild ins Wort zu rücken!)

Dinge, die weggeschoben werden, weil sie nicht zu sein haben, die faszinieren mich immer wieder. Man sieht ja solche Dinge ganz selten, die mit dem Tod zu tun haben, die den Tod lächerlich oder deutlich machen. Das gehört in den Humor nicht rein; das gehört eigentlich nirgendwo rein. Das ist zum Beispiel in Frankreich ganz anders, die arbeiten ganz anders mit dem Tod. Das nervt mich ja auch gerade an Deutschland und den deutschen Zeichnern; da wird mit einer Nonchalance über Dinge hinweggesehen, aber sie reißen bestimmte Wunden nicht auf. Sie meinen, die müßten erst einmal verheilen. Mich interessiert das überhaupt nicht. Also das mach' ich schon ganz gerne: Aufreißen, Senf rein, Meerrettich rein, wieder zunähen und dann sehen, was passiert.

Dann kündigt eine Zeitung eine Veranstaltung mit Ernst Kahl so an, als wenn ein vorbildlicher Perversling auf die Zuschauerschaft zukäme. Aber auf die Leute, die auf Grund solch einer Ankündigung hin erscheinen, auf die hat Kahl dann gar keine Lust.

Ich will da nicht solche Idioten sitzen haben, die Spaß am Abwegigen haben. Deswegen habe ich bei der Lesung dann auch Kindergeschichten dabeigehabt.

Kahl hat tatsächlich etwas sehr Frustrierendes; frustrierend, weil er Erwartungshaltungen leidenschaftlich gerne und konsequent enttäuscht. Ent-täuschen, das heißt doch wohl, daß wir uns zuvor ge-täuscht haben. Und ist es nicht das Prinzip des Komischen überhaupt, zu ent- täuschen, Erwartetes nicht zu erfüllen?

Wer sich auf den Maler und Zeichner Kahl einläßt, muß damit rechnen, in eine Geisterbahn zu geraten; hinter der nächsten Kurve, auf der nächsten Seite... Er nutzt sämtliche Stile und graphischen Mittel: hier eine Bleistiftzeichnung, die an die kritische Graphik der zwanziger Jahre erinnert — an Grosz oder Dix —, hier eine in Barockmanier getuschte Geschmacklosigkeit, dort eine übermalte Fotografie:

Ich überlege mir von Mal zu Mal neu, so muß der Witz gezeichnet werden. Man hat mir schon Stillosigkeit vorgeworfen, was natürlich der größte Witz ist. Wenn ich demnächst die Ausstellung der Galerie am Chamissoplatz [in Berlin, Am. d. Red.] habe, werden verschiedene Bilder zu sehen sein, weil es Spaß macht, unterschiedliche Sachen auch unterschiedlich zu hebeln. Ich werfe den meisten Künstlern ja Langweiligkeit, Borniertheit und eigentlich auch Feigheit vor. Sie haben ein Publikum auf sich eingeschworen, das weiß: Das ist sein Stil, und den zieht er durch. Die Leute wollen die Wiedererkennbarkeit, die wollen die lange Nase.

Kahl zeigt sie ihnen, die lange Nase.

Die Leute sind doch teilweise reichlich blöd, daß sie sich auf Sprünge nicht einlassen!

...auch in dem neuen Band Kahlschläge?

Der ist wieder so. Du siehst 'ne Doppelseite und hast dich auf irgend etwas eingestellt, und dann kommt eine ganz andere Geschichte.

Eine ganz andere Geschichte

Ich war von zu Hause abgehauen und träumte von einem Künstlerleben, als Sechzehnjähriger. Was man so gelesen hatte, „La bohème“ und so. Da kam ich mit meiner Mappe hier zur Hochschule der Bildenden Künste am Lerchenfeld [in Hamburg, Anm. d. Red.] — ohne Abitur — und wurde sofort angenommen; und dann war da überhaupt nichts mit Malerei und Zeichnerei. Es wurde immer nur darüber diskutiert, ob es überhaupt noch Sinn hätte, Kunst zu machen. Man kam überein, daß es keinen Sinn mehr hätte und beschränkte seine künstlerische Kreativität darauf, Wandzeitungen zu illustrieren, aber schlecht, ganz schlecht. Und dann wurde nur noch über Strukturalismus diskutiert — Levy-Strauss war damals schwer angesagt. Ich hatte plötzlich Lucky Luke entdeckt, das war für mich ganz was Neues, diese Comics. Ich demonstrierte mein Desinteresse, indem ich während dieser ganzen Diskussion Asterix und solche Sachen las. Ich kriegte auch prompt meinen Schein — also die Unterschrift von einem Prof — nicht mehr. Ich ging dann zu David Hockney, der damals Gastdozent in Hamburg war. Das ist unglaublich — Hockney ist ja wirklich ein Spitzenmann — da waren gerade mal fünfzehn Leute bei dem. Das war traumhaft, da konnte ich dann in Ruhe meine Lucky Luke und Asterix lesen, das störte den nämlich nicht. Ich hatte 'ne richtige Paranoia in der Zeit. Ich wollte da eigentlich mehr Malen lernen, und die gaben sich alle hyperintellektuell, hyperbelesen. Da habe ich mich beurlauben lassen und mich freiwillig zum Zivildienst gemeldet.

Kahl landete in der Prosektur eines Krankenhauses — wurde der gehilfe vom Leichenheini. Vielleicht hat das damit was zu tun. Viele seiner Cartoons handeln von Mord, Selbstmord und Tod. Kunst als Therapie? Sind Kahlschläge die andere Seite? Wenn er nicht malte oder zeichnete, nicht Musik machte — er spielt Gitarre —, und wenn er nicht schriebe, er wäre unausstehlich. So aber sitzt er in einer 270-Quadratmeter-Wohnung — wo er nicht wohnt, weil er nicht wohnen kann —, ist freundlich, schenkt ein und nach. Er zeigt sein Atelier und den Abdruck seines Gebisses: „Meine Zähne unten (oben)“. Selbst das Gebiß ist pervers — also verkehrt.

Du rennst ja mit deinen Neurosen durchs Leben, das ist logisch. Das kommt ja von irgendwo her. Dir fällt das und das auf, weil du dafür ganz besonders sensibel bist, weil deine psychische Struktur so aussieht, wie sie aussieht. Weil du im Elternhaus so eine Scheiße hast miterleben müssen. Total asexuell. Du weißt also auch ganz genau, woher so manche Verklemmtheiten kommen. Und manchmal gelingt es dir, dich zu befreien, aber letztendlich bleibst du immer in einem bestimmten Sichtraster.

In Kahls Raster paßt am besten, was in andere Raster nicht paßt. Keine Zeitung, kein Sender fände sich bereit, etwa Das Tagebuch eines Einödbauern zu publizieren. Eine Geschichte, auf die er ganz spontan gekommen ist, weil mein Bruder, der ein alter Eulenwart ist und Brutkästen aufhängt, um den Bestand der Schleiereulen sichern zu helfen, der hat mal sowas erlebt. Daß er in eine Scheune kam und daß der Knecht da hinter der Sau hing, dann hat er die Tür zugemacht und ist pfeifenderweise wieder ran. Das hat er ein paarmal erzählt. Während er mir das erzählte, sah ich auf einem Feld einen Collie einen Esel bespringen. Wirklich wahr. Ich dachte, das könnte eine ganz lustige Geschichte werden.

Der Schreiber Kahl mag Geschichten, die nicht so dahinplätschern und ausgeplaudert werden, bis sie in einem Delta versumpfen. Er mag Geschichten mit einem Anfang und einem Ende. Geschichten, von denen er sagt, daß es eigentlich egal ist, wer sie erzählt. Die einfach erzählt werden sollten, weil sonst sowenig passiert. Ihm passiert immer zuwenig. Er ärgert sich über die Frau beim ZDF, die, bevor er zu einer Talkshow eingeladen wird, bei ihm vorbeischaut, um ihn auf seine Studio- und Talkshow-Tauglichkeit hin zu überprüfen.

Er ärgert sich über Werner. Den Brösel-Werner, den findet er „total blöde“. Das hat ihn nicht davon abgehalten, das Drehbuch für den Realteil von Werner Beinhart zu schreiben?

Bernd Eichinger, der Produzent, rief mich an und fragte: „Wie ist das, wir wissen uns keinen Besseren in Deutschland!“ Und ich hab' gesagt: „Ich liefere dir ein Drehbuch, aber es wird natürlich ein schlechtes Drehbuch.“ Der Film würde ziemlich beschissen werden, wenn er nach meinem Drehbuch gedreht würde. „Ja“, hat er gesagt, „aber leider Gottes bist du der Beste.“

Zu den Kahlschlägen gehört auch der Comic strip Nie wieder ohne Helm: Kahl zitiert Brösels Zeichenstil, setzt den besoffenen Werner auf ein Dreirädchen und läßt ihn nach einem schweren Unfall in ein Irrenhaus einliefern.

Es passiert mir öfter, daß Leute sagen „Soll ich darüber lachen?“ oder „Was bedeutet das denn?“, und ich soll's erklären, das ist bitter.

Ernst Kahl: Kahlschläge . Verlag am Galgenberg. 120 Seiten, 36 DM. Bei Galgenberg erschien auch Das neue Bestiarium Perversum u.a.

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