: Bonner Koalition kreist um sich selbst
Vor allem in der CSU wächst die Kritik an Bundeskanzler Kohl/ Die Expansionsgelüste der CSU sind noch nicht aufggegeben/ Selbst der Kanzler reagiert inzwischen gereizt/ Rühe in der Schußlinie ■ Aus Bonn Tina Stadlmayer
„Jetzt reicht's“, rief der Kanzler, griff zum Telefon und sagte sein Date mit CSU-Chef Waigel ab. So soll es gewesen sein, so erzählten es gestern die Informanten „aus der Umgebung Kohls“ den Journalisten. Eines steht fest: Durch seine plötzliche Absage hat Kohl die Christsozialen ganz schön düpiert. Gut inszeniert, die Show. Dementsprechend sauer reagierten die Bayern: Wenn Kohl „keine Zeit für die CSU“ habe, müsse er die „Folgen selbst verantworten“, belferte Innenminister Edmund Stoiber. Kohl kann diese Reaktion kalt lassen. Welche Folgen meint der Landesminister schon? Den Auszug der CSU aus dem Bonner Kabinett? Auch ohne die Bayern hätten CDU und FDP in Bonn eine Mehrheit — die Drohung ist nicht allzu wirkungsvoll.
Oder: Die CSU tritt demnächst auch in Sachsen und Thüringen an. Das hatte CSU-Generalsekretär Erwin Huber für den Fall angekündigt, daß die CDU die dort ansässige DSU in Zukunft nicht mehr unterstütze. Doch auch damit kann er den Kanzler nicht erschrecken. „Dann marschiert die CDU in Bayern ein“, lautet dessen Antwort, wie immer, wenn die CSU in den vergangenen Jahren mit ihrer Ausbreitung drohte.
Die Bayern bewegen sich im Abseits
Die CSU ist in einer denkbar schlechten Position: Ihr Einfluß auf die Bundespolitik ist durch die Wiedervereinigung enorm gesunken — die DSU, ihre Schwesterpartei im Osten, ist gerade dabei, sich aufzulösen. Rettungsversuche scheinen aussichtslos. Zudem ist der alte Zwist zwischen CSU-Chef Theo Waigel und Ministerpräsident Max Streibl um die Vorrangstellung in der Partei längst nicht begraben.
Was den Kanzler trotzdem beunruhigen muß: die Bayern fordern nicht nur die Unterstützung der maroden DSU, sondern mäkeln auch noch lautstark an des Kanzlers Regierungsführung herum. Und: Sie stehen damit nicht allein. Kohl müsse als CDU-Vorsitzender deutlich machen, daß die Union die „führende Kraft in der Bonner Koalition“ sei, hatte Erwin Huber gefordert. In der Regierung gebe die FDP den Ton an, und die CSU müsse „die unangenehmen Dinge ausbaden“. Im 'Bayernkurier‘ warnte Huber: „Das katastrophale Wahlergebnis der CDU“ bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz zeige, „wohin die Reise geht“. Und: „Parallelen“ zu 1969, dem Beginn der sozialliberalen Koalition, seien „mit den Händen zugreifen.“
CSU-Chef Theo Waigel setzte gestern noch eins drauf: Er warf der CDU „mangelnde Orientierung“ vor und forderte „klare inhaltliche Positionen“. Klare — rechte — Positionen vermißt die CSU vor allem bei zwei Themen: bei der Diskussion um den Abtreibungsparagraphen und bei den Gesetzesvorhaben zur Terrorismusbekämpfung.
In der CDU gebe es Leute, „wie Frau Süssmuth, die die Fristenlösung fordert“, und solche, die „das Gegenteil“ wollten, schimpfte Huber im Fernsehen. Richtig ist, daß Rita Süssmuth zwar keine Fristenlösung, aber ein liberaleres Abtreibungsrecht will. Was „das Gegenteil“ sein soll, bleibt Hubers Geheimnis. Vermutlich meinte er damit die (auch nicht ganz einheitliche) CSU- Position: Verschärfung des Abtreibungsrechtes. Huber hat hier einen wunden Punkt bei der CDU angepiekst: In der Tat ist es unwahrscheinlich, daß sich die Bundestagsfraktion auf einen gemeinsamen Entwurf zum Abtreibungsrecht einigen wird.
Die Meinungen driften auseinander
Auch beim Thema organisierte Kriminalität und Terrorismusbekämpfung gehen die Meinungen weit auseinander. Die CSU fordert den fast uneingeschränkten Einsatz von verdeckten Ermittlern und von Abhörgeräten. Bedenken bei CDU- und FDP-Politikern versucht sie mit dem Argument „Menschenschutz vor Datenschutz“ vom Tisch zu wischen. Die CSU will außerdem ein noch strengeres Ausländergesetz und mehr Mitsprache in der Außenpolitik. Kohl und Waigel sind sich auch über wichtige Personalfragen nicht einig. Waigel fühlt sich übergangen: der Kanzler hätte ihn fragen müssen, bevor er Wolfgang Schäuble als künftigen Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion in Bonn präsentiert habe.
Kanzleramtsminister Rudolf Seiters, nicht gerade als Linksabweichler bekannt, konterte gestern die CSU-Kritik an der Kanzlerpartei als „inakzeptabel und unangemessen“. Dem Kanzler paßt derlei Gemäkel zur Zeit besonders schlecht, da es in der CDU seit der verlorenen Rheinland-Pfalz-Wahl wieder rumort. Ex- Generalsekretär Heiner Geißler sieht die Partei in einer „schweren Glaubwürdigkeitskrise“ und fordert eine „Strategiedebatte“; Umweltminister Töpfer findet die Situation „äußerst prekär“, und selbst Kohls Kronprinz Schäuble mahnt einen „Generationswechsel“ an.
Doch von all dem will Kohl nichts wissen. Zunächst lenkte er von der Diskussion über den Zustand der CDU ab. Am Tag nach der Wahl sorgte er mit seinem unerwarteten Votum für Berlin als Regierungssitz für Medienrummel. Doch damit konnte er seine Kritiker nicht zum Schweigen bringen. Seit einigen Tagen läßt Kanzler Kohl Spekulationen über ein Kabinettsrevirement streuen: Seinen von allen Seiten kritisierten Generalsekretär Volker Rühe will er für den ausgedienten Gerhard Stoltenberg auf die Hardthöhe schicken. Als Rühes Nachfolger hat er angeblich Anton Pfeiffer, Staatssekretär im Kanzleramt, ausgeguckt. Viel würde sich dadurch nicht ändern. Pfeiffer gehörte einst zu den Modernisierern um Heiner Geißler, zeichnet sich inzwischen jedoch, wie Rühe, durch bedingungslose Kohl-Gläubigkeit aus.
Den Sozialreformern um Geißler, Blüm und Biedenkopf ist es in den vergangenen Tagen immerhin gelungen, die Frage nach der „Zukunft der CDU“ wieder aufs Tapet zu bringen. Auf dem Parteitag im Juli könne seinetwegen auch eine Stragegiedebatte geführt werden, mußte Kohl inzwischen einlenken.
Mit CSU-Chef Waigel will sich der Kanzler nun — trotz des gestern geplatzten Vorbereitungsgespräches — am Dienstag im Allgäuer Kloster Irsee treffen. Da werden sich dann zwei angeschlagene Parteiführer gegenübersitzen. Der eine wird dem anderen sagen, er solle Thüringen und Sachsen in Ruhe lassen. Und der andere wird den einen ermahnen, weniger nett zur FPD zu sein.
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