: Ein Land zum Untergang verdammt
■ Die Ärmsten des so verwundbaren Landes sind den Wassermassen praktisch schutzlos ausgeliefert
Wenn der Meeresspiegel um eineinhalb Meter steigt, verlieren in Bangladesch 20 Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage. Steigen die Fluten um drei Meter, sind 30 Millionen betroffen. Die Welle, die diese Woche vom Golf von Bengalen über das am dichtesten besiedelte Land der Welt rollte, war sechs Meter hoch. Wenn künftig Flutwellen von einem ohnehin höheren Meeresspiegel aufsteigen, wird noch mehr Land untergehen. „Am Ende des kommenden Jahrhunderts wird Bangladesch in der Form, wie wir es heute kennen, aufgehört haben zu existieren“, schreibt das Worldwatch Institute in seinem Report „State of the World 1990“.
In Bangladesch leben auf einer Fläche etwa doppelt so groß wie Bayern rund 120 Millionen Menschen. Die Ärmsten von ihnen tragen das größte Risiko. Sie siedeln in Küstennähe oder auf Inseln und Schlammbänken im Delta der Riesenflüsse Ganges, Meghna und Brahmaputra — dort, wo Land nichts kostet. Den Wassermassen sind sie praktisch schutzlos ausgeliefert. Die Fluten kommen aus zwei Richtungen. Entweder vom „Dach der Welt“, dem gewaltigen Himalaya-Massiv — wenn der Monsunregen die Ströme Jahr für Jahr zu einem einzigen großen Meer zusammenwachsen läßt. Oder vom Meer her, wenn sich dort ein Zyklon zusammenzieht, der das Flachwasserbecken des Golfs zu gigantischen Wellen auftürmt.
1970 starben 500.000 Menschen nach einem Zyklon. Vorher und nachher waren es jeweils Tausende oder Zehntausende. Sie kehren immer wieder zurück, weil sie keine Wahl haben. Deiche zu bauen, wie in Holland oder an der deutschen Nordseeküste, würde Milliarden verschlingen, die das Land schlichtweg nicht hat. Mit Darlehen internationaler Hilfsorganisationen wurden in der Vergangenheit auf bedrohten Inseln „Taifun-Bunker“ errichtet, letzte Zufluchtstätten für Reisbauern und Fischer. Das Land wurde angeschlossen an internationale Wetter- Frühwarnsysteme. Aber entweder die Vorwarnungen erreichen die Leute nicht, weil es an Radioempfängern mangelt, oder sie fürchten, ihre Häuser zu früh zu verlassen — wegen der Diebstähle und Plünderungen.
Das alles war nicht immer so. Zwar suchen Überflutungen das Land seit Menschengedenken heim. Aber ihnen verdankt es letztlich seine Existenz. Die Wassermassen aus den Bergen brachten fruchtbare Sedimente, die die Äcker immer neu mit Nährstoffen versorgten. Das Salzwasser ließ breite Mangrovenwälder zu natürlichen Schutzwällen gegen die ozeanischen Fluten zusammenwachsen. Eingriffe des Menschen, im Lande selbst und global, verurteilen Bangladesch heute nach Ansicht vieler Wissenschaftler längerfristig zum Untergang. Eine dramatische Absenkung des Grundwassers, die Kanalisierung der großen Flüsse, zunehmende Niederschläge und ein langsam ansteigender Meeresspiegel infolge des Treibhauseffekts — das alles spitzt die Situation zu. Und „von hinten“ nimmt der fortschreitende Raubbau Indiens, Nepals und Bhutans an den Himalaya-Wäldern jede Hoffnung auf Besserung. Ein immer geringerer Teil der gewaltigen Monsunregenfälle wird dort gespeichert, wo sie die Erde erreichen. Die Flüsse steigen und reißen die fruchtbaren Sedimente ungenutzt ins Meer. Bangladesch, heißt es in einer Studie der Weltumweltorganisation UNEP, gehört zu den „am meisten verwundbaren Ländern der Welt, ist aber an den Ursachen seines Untergangs am wenigsten beteiligt“. Gerd Rosenkranz
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