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Spannungsgeladenes Knirschen

■ Don Bajema und Hubert Selby lasen in der Schauburg / 50 ließen sich in den Bann ziehen

Nicht einmal fünfzig ZuhörerInnen hatten sich eine halbe Stunde vor Mitternacht in der großen Schauburg eingefunden, um Don Bajema, der an gleicher Stelle vor genau einem Jahr schon einmal aus seinen Arbeiten las und Hubert Selby zuzuhören. Selby, der durch die Verfilmung seines Milieu-Werkes „Last Exit To Brooklyn“ in Deutschland bekannt wurde, sollte mit Bajema „ein Bild von Amerika vermitteln, das in den letzten Monaten sintflutartig über uns gekommen ist“, wie der Moderator des Abends, Michael Augustin formulierte. „Es gibt eine Literatur zu entdecken“, so der Radio Bremen Redakteur.

Don Bajema bemühte sich zunächst um Nähe zum Publikum. „In dieser trauten Runde können Sie ruhig Fragen stellen“, forderte er das beharrlich schweigsame Auditorium auf, „stellen Sie sich vor, Sie würden wie Jazz- Freaks einmal sagen können: hey, wir haben im Mai '91 Bajema und Selby zusammen auf der Bühne gesehen.“ Doch es half nichts, der Schauspieler, Leichtathletiktrainer und Schriftsteller blieb allein mit seinen Reflexionen. So las er Nachdenkliches über den Golfkrieg (“For the Innocent“) und holte aus zu einer langen, heißen und unendlich quälenden Fahrt durch die kalifornische Wüste. Bajemas Protagonisten können sich nicht entscheiden. Sie sind Abziehbilder einer amerikanischen Wirklichkeit, die alles schon vorgelebt hat, schon alles gesagt hat. Gesprochene Worte verkommen zu Kommunikation aus zweiter Hand. Die wortreiche Inhaltsarmut seiner Figuren schwingt in Bajemas Stimme mit. Beinahe monoton liest er „it's true love“ und meint ein Gefühl der Unsicherheit. Aber kaum, daß er die Menschen aus der Ferne sieht, wird er messerscharf: „I heard kisses softly exchanged...“

Nach Mitternacht tritt mit Hubert Selby, 62, ein Mann der Widersprüche ins Scheinwerferlicht. Er ist schmalschultrig, hat schütteres Haar und ein sehr nachdenkliches, angegriffenes Gesicht. Doch wenn seine Stimme anhebt, dringen nicht nur Worte ins Ohr, sofort erscheinen Bilder vor dem geistigen Auge. Dieser unscheinbare Mann kann erzählen. Er vermag mit der kompositorischen Substanz seiner Wort-Bild-Ketten ein Publikum in den Bann zu ziehen. Wenn er sagt, „I'm sweating my balls off“, dann spürt das Publikum die Heidenangst der „Motherfucker“ beim Einbruch in ein Schuhgeschäft im dichten Schneetreiben. Das Knirschen der Glasscheiben unter den Füßen überträgt sich auf die spannungsgeladene Atmosphäre in der Schauburg und wir denken: „Das kann doch niemals gutgehen.“

Darauf kommt es nicht an. Selbys listige Geschichten über Verrückte oder solche, die wir dafür halten, haben keine Moral und schon gar keine Message. Er schreibt nicht für ein Publikum, sondern für die Sprache selbst (s. Kasten). Nur so ist zu verstehen, wie einfühlsam er beispielsweise Außenstehenden den Weg zurück zu seinen Eltern vermittelt. Seine Suche sei ein heilsamer Schock, liest er vor. Für die ZuhörerInnen ist es eine Offenbarung.

Einen Live-Mitschnitt der Veranstaltung sendet Radio Bremen 2 am 13.5. von 11.30 Uhr bis 12.00 und am 21.6. von 22 Uhr bis 24 Uhr. Jürgen Francke

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