: Her mit den Bayern
■ Der FC Hansa Rostock wurde vorzeitig Fußballmeister Nordost und Bundesliga-Aufsteiger
Rostock (taz) — Selbst der große Zampano war sichtlich gezeichnet. Journalisten, die vom Rostocker Trainer Uwe Reinders in der Jubelstunde nach dem Abpfiff tiefgründige Saisonanalysen und freundliche Bundesliga-Prognosen hören wollten, hatten keine Freude. Der Ex-Bremer war am Ziel seiner Wünsche und wohl auch am Ende seines Zitatenschatzes für Fußball- Fachjournalisten.
Der Anspannung des Spiels gegen den Tabellenzweiten aus Dresden folgte eine „große Leere im Kopf“, selbst die Freude wollte sich nicht so recht einstellen. Statt euphorisch jubelnd zeigte sich Reinders eher knurrig-knorrig, aber trotzdem freundlich wie immer und verkündete einen trainingsfreien Sonntag für die gesamte Mannschaft. Seine Begründung: „Von den besoffenen Kerlen will ich am Morgen nach dem Spiel keinen sehen.“ Die „alkoholisierten Kerle“ hatten sich jedoch ihr sonntägliches Ausschlafen redlich verdient.
17.000 Zuschauer feierten im Rostocker Ostseestadion mit Gesängen und „La Ola“ den alles entscheidenden 3:1-Erfolg gegen die Dresdner Dynamos. „Es freut mich auch für die Leute“, dachte Uwe Reinders an die hanseatischen Fans, „daß wir in einem Heimspiel alles klipp und klar gemacht haben.“ Nordost- (also Ex-DDR-) Fußballmeister und Bundesliga- Aufstieg am selben Tag, an so etwas dachten vor zehn Monaten bestenfalls in schlaflosen Nächten die Spielerfrauen bei der Planung des Familienetats für den Haushalt des zweiten Halbjahres 1991. Ihre Kicker-Gatten empfingen Uwe Reinders damals zum ersten Trainingstag im Sommer 1990 noch mit gesenkten Augen und „Sport frei!“ aus der Grundstellung.
Aus den Staatsamateuren der DDR wurden inzwischen so etwas ähnliches wie Bundesliga-Rohdiamanten, oder bei Rostock müßte man besser sagen: Rohbernsteine. Manch Spieler hat sich in dieser Entwicklung sogar „selbst überholt“, bemängelt Uwe Reinders. „Einige meinen, sie seien nach den ersten, zarten Erfolgen schon die größten“, kritisiert er die Wandlungen mancher Hansa-Kicker.
Sich frei fühlen und damit umgehen zu können — das dies zwei verschiedene Dinge im Leben sind, war offensichtlich unter gebürtigen Kohlenpottler und jetzigen Wahl- Mecklenburger Reinders bei Hansa häufiges Trainingsthema. Man hat seine Lektionen verstanden. Die Mannschaft, oder wie man früher gesagt hätte, das Spielerkollektiv, hat sich zusammengefunden und die Individualisten des Teams haben dennoch ihre Freiräume, die sie auch weidlich nutzen.
Bestes Beispiel: Juri Schlünz. In Rostock war er schon immer ein Talent, dann nannte man ihn schon ungeduldig ein ewiges Talent. Zwei Billard-Freistoßtore, die zwei Dresdner Torhüter mächtig verdattert zurückließen, krönten am Samstag seine beste Oberligasaison. Als er vor Wochen verletzt fehlen mußte, kam Hansa erst- und letztmalig ins Schlingern.
Der FC Hansa Rostock in der Bundesliga, nun können die Lemke, Hoeneß, Lattek und Co schon mal die Reisepläne aufstellen für die Eroberung des deutschen Fußballostens. „Woche für Woche werden wir gegen den Abstieg spielen“, versucht Uwe Reinders die Fußballeuphorie der Region zu bremse, „wer anderes glaubt, hat Rosinen im Kopf.“ Als er dies sagte, probten draußen schon die Fans: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ Volkmar Hahn
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